Östliches Europa als Raum

Gibt es ein östliches Europa, das sich nach bestimmten Kriterien als ein Gesamtraum beschreiben lässt? Oder anders ausgedrückt: Lässt sich ein klares Profil vom ‚Östlichen Europa’ erstellen, das die Unterschiede zum westlichen Europa verdeutlicht?

Ganz so einfach ist der Umgang mit dem Begriff „Östliches Europa" nicht. Denn welche Länder unter den Term „Östliches Europa" fallen, hängt von der Betrachtungsweise, politischen und gesellschaftlichen Interessen sowie von den bestehenden Strukturen regionaler Zusammenarbeit und den Beziehungsgeflechten ab. Im EU-Jargon ist häufig auch von den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEL) die Rede. Zu diesen gehören im engeren Sinne die baltischen Staaten, die Visegrad-Gruppe, die Nachfolgestaaten Jugoslawiens, Albanien, sowie Bulgarien und Rumänien. Im weiteren Sinne werden unter dem Begriff MOEL auch für das gesamte Kontinentaleuropa östlich der EU-Grenzen von vor 2004 gesehen.

Im Zuge von Globalisierungsprozessen muss zwischen einer geographischen, einer historischen, einer kulturellen sowie einer regionalpolitischen Zuordnung der Länder unter dem Begriff „Östliches Europa“ unterschieden werden. Zu dem Raum „Östliches Europa“ zählen nach diesen Kriterien die ost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ebenso wie die EU-Beitrittskandidaten des Westbalkans, die baltischen Länder, die Russische Föderation und die Länder der Östlichen Partnerschaft.

Es gilt also festzuhalten, dass der Begriff „Östliches Europa" - je nach Zeit und Perspektive andere Bedeutungen haben kann.

Von „Nordeuropa" zu „Osteuropa"

Ein Beispiel dazu liefert der Umgang mit dem Begriff Osteuropa in der Frühen Neuzeit. Anfangs trug nämlich das Territorium der heutigen Staaten Polen, Baltikum und Russland die Bezeichnung Nordeuropa. Die Staaten auf diesem Gebiet (Polen-Litauen, Skandinavien und Russland) galten als Teil des so genannten „Nordischen Systems“. Neue Entdeckungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der Aufklärung führten dazu, dass der Begriff Nordeuropa durch die Bezeichnung Osteuropa ersetzt wurde. Zum einen belegten neue Methoden in der Geographie und Kartographie, dass sich das „Nordische System“ weiter im Osten befand als zunächst angenommen. Zum anderen unterschieden die neu begründeten Philologien und vergleichenden Sprachwissenschaften zunehmend zwischen den Slawen aus dem „Osten“ und den „Germanen“ aus dem Norden. Diesen Erkenntnissen wollten sie mit neuer Begrifflichkeit gerecht werden. Die Bezeichnung Osteuropa hatte in anderen Kontexten aber auch andere Bedeutungen. Der Begriff Osteuropäische Geschichte, der sich bis ins Jahr 1860 zurückverfolgen lässt, bezeichnete im Gegensatz zu heute lediglich die russische und polnische Geschichte. Noch nach dem Ersten Weltkrieg verwendeten ihn die Historiker in dieser Weise.

Die Entstehung der Bezeichnung „Balkan"

Im 19. Jahrhundert bildete sich ein Begriff für die südlichen Regionen der Habsburger Monarchie und für die europäischen Regionen des Osmanischen Reichs heraus ? die Balkanhalbinsel. Das Wort Balkan stammt aus dem Türkischen und bedeutet Gebirge. Der Berliner Geograph August Zeune, der die Bezeichnung 1808 einführte, ging von der Vorstellung antiker Geographen aus, dass sich das Balkangebirge von den slowenischen Alpen und der Adria bis zum Schwarzen Meer erstrecke. Dabei handelt es sich bei dem eigentlichen Balkangebirge "nur" um einen Gebirgszug im heutigen Bulgarien. Um der gesamten Region gerecht zu werden führte der Balkanforscher Johann Georg v. Hahn 1861 die Bezeichnung Südosthalbinsel ein. Dieser Begriff konnte jedoch den Balkanbegriff nicht mehr aus dem politischen Sprachgebrauch verdrängen.

Das „Baltikum" oder die baltischen Staaten

Der Begriff Nordosteuropa zur Bezeichnung eines eigenständigen historischen Raumes hat sich bisher noch wenig durchgesetzt. Er wird oft als Synonym zum Begriff Ostseeraum verwendet, der auch das nord-östliche Russland einbezieht. Ein anderer Begriff, der zur Bezeichnung der Ostseeregion gebraucht wird, ist Baltikum. Er leitet sich von der früheren Bezeichnung der Ostsee ? Mare Balticum ? ab. Im 19. Jahrhundert gaben sich die in dieser Region ansässigen Deutschen die Bezeichnung Balten. Als die drei Staaten Litauen, Lettland und Estland 1918 ihre Unabhängigkeit erlangten, setzte sich nach und nach der Begriff die baltischen Staaten für sie durch.

Grenzen im Ost-West-Konflikt

Die Aufteilung Europas in einen demokratischen und einen sozialistischen Block nach dem Zweiten Weltkrieg relativierte die Grenzen zwischen den Regionen Mitteleuropa, Südosteuropa und Nordosteuropa ohnehin. Die Zugehörigkeit zum politischen Block im Ost-West-Konflikt bestimmte den Verlauf der Grenze zwischen Ost– und Westeuropa, wobei die tatsächliche geographische Lage einzelner Staaten, z.B. der DDR, Griechenlands oder der europäischen Türkei, dieser politisch motivierten Zuordnung widersprach. Prag gehörte zum Ostblock, während Wien, das weiter im Osten liegt, dem "Westen" zuzuordnen war. Erst mit dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde diese Aufteilung in Ost und West wieder aufgehoben.  Differenziertere Bezeichnungen wie Ostmitteleuropa oder Südosteuropa sind heute wieder aktuell.

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Von der „GUS" zur „Östlichen Partnerschaft"

Der Begriff GUS-Raum lässt sich zurückführen ins Jahr 1991, als die Nachfolgestaaten der Sowjetunion nach ihrer Auflösung die internationale Organisation „Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten" (GUS) ins Leben gerufen haben. Ziel der Organisation war, den Raum wirtschafts- und sicherheitspolitisch zusammenzuhalten. Durch diese Organisation hat der Kreml damals seine politischen Ansprüche auf die exsowjetischen Länder angekündigt.

Unter dem Dach regionaler und globaler Zusammenarbeit kam es Schritt für Schritt zur Ausweitung und Intensivierung europäischer und amerikanischer Kooperationen mit den GUS-Staaten in Osteuropa, im Südkaukasus und in Zentralasien. Einige Staaten wie die Ukraine und Georgien habnen aufgrund gravierender Konflikte mit Russland die GUS jedoch wieder verlassen. Mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen multilateraler Formate der Partnerschaft zwischen der EU und den exsowjetischen Ländern kann nicht mehr vom „GUS- bzw. postsowjetischen Raum“ gesprochen werden. Die Organisation GUS vertritt heutzutage aufgrund der divergierenden außenpolitischen Interessen der (Ex)Mitgliedstaaten weder den politischen, noch den wirtschaftlichen oder kulturellen Raum und ist nur auf dem Papier existent.

Die Östliche Partnerschaft  (The Eastern Partnership, EaP) ist eine spezifische Dimension der EU-Nachbarschaftspolitik, wo die aktuellen und ehemaligen GUS-Staaten Ukraine, Moldawien, Weißrussland, Armenien, Aserbaidschan und Georgien aufgrund des wechselseitigen Bekenntnisses zur gemeinsamen Werteraum mit der EU und miteinander kooperieren. Russland wurde die Möglichkeit, sich an der Östlichen Partnerschaft teilzunehmen, nicht angeboten. Diese hat übrigens zur Integrationsrivalität in der unmittelbaren Nachbarschaft zwischen der EU und Russland geführt. Russland versucht seinerseits angesichts der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) einen Gegenpol zur ENP/EaP zu etablieren.  

Quelle: Harald Roth(Hg.), Studienhandbuch Östliches Europa, 2009


 

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