Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa


Informationen zum EU-Rechtsstaatsmechanismus und zum Artikel-7-Verfahren.


Die Situation von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einigen Ländern des östlichen Europas ist in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Dabei lag das Augenmerk insbesondere auf Ungarn und Polen. Aber auch in Bulgarien und Rumänien sowie in den EU-Nachbarländern Belarus und Russland ist die Situation besorgniserregend. Versuchen Regierungen, Presse und Justiz unter ihre direkte Kontrolle zu bringen und deren Unabhängigkeit auszuhöhlen, wird das Prinzip der  Gewaltenteilung unterwandert und das Gleichgewicht der Kräfte im Staat bedroht.

Aufgrund der zunehmenden Gefährdung rechtsstaatlicher Prinzipien hat die EU in den vergangenen Jahren schärfere Mechanismen zur Überprüfung und Ahndung von Verstößen in die Wege geleitet. Laut EU-Verträgen stehen die Mitgliedstaaten in der Pflicht, für die Unabhängigkeit der Justiz und eine freie Presse in ihren Ländern zu sorgen. Ebenso misst sich der Rechtsstaat auch am Umgang mit Minderheiten sowie dem Vorhandensein einer funktionsfähigen politischen Opposition.

 

So haben sich das EU-Parlament mit dem Rat im Dezember 2020 auf einen neuen  „Mechanismus zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit" geeinigt, der es der EU zukünftig erlauben soll, Zahlungen an Mitgliedstaaten auszusetzen, wenn diese gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Der ebenfalls Ende 2020 neu eingeführte Bericht über die Rechtsstaatlichkeit soll mit jährlichen Berichten dazu beitragen, dass zukünftig maßgebliche Entwicklungen auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten regelmäßig beobachtet werden. Der Bericht umfasst vier Pfeiler: das Justizsystem, den Rahmen für die Korruptionsbekämpfung, Medienpluralismus sowie sonstige institutionelle Fragen im Zusammenhang mit der Gewaltenteilung.

Da die Klagen der EU gegen Polen und Ungarn bislang kaum Konsequenzen nach sich zogen, verstärkte das Europäische Parlament im März 2021 noch den Druck auf die Europäische Kommission und stellte ihr ein Ultimatum: Bis im Sommer müsse die Europäische Kommission auf die Rechtsstaatlichkeitsverletzungen reagieren und Konsequenzen  ziehen. Polen und Ungarn hatten eine vorherige Prüfung des neuen Rechtsstaatsmechanismus vor dem Europäischen Gerichtshof verlangt.  Im Juni 2021 hat das Europäische Parlament ein Verfahren für eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission eingeleitet. Mit dem Schritt will es die Brüsseler Behörde dazu bringen, Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit unverzüglich zu ahnden.

Aufgrund der fortwährenden Verstöße Polens und Ungarns gegen die Rechtsstaatlichkeit hat die EU-Kommission  im November 2021  Vorbereitungen getroffen, den neuen Rechtsstaatsmechanismus erstmalig einzusetzen. Ein entsprechender Brief ging an die beiden Länder, der sämtliche Missstände und Mängel bei Rechtsstaatlichkeit, Budgetkontrolle und Korruptionsbekämpfung aufzählt.

Im Februar 2022 erging das Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Der Rechtsstaatsmechanismus ist rechtens, die von Polen und Ungarn eingereichte Klage wurde abgwiesen.  Mit dem Urteil des EuGH ist nun klar: Die EU-Kommission kann den Rechtsstaatsmechanismus einsetzen und gegen Rechtsstaatsverletzungen von EU-Mitgliedern vorgehen, indem sie ihnen Gelder kürzt beziehungsweise die Auszahlung aussetzt.

Im Falle Polens und Ungarns schwelt seit geraumer Zeit der Streit mit der EU-Kommission über die Auszahlung von Mitteln. Im Oktober 2022 hat die Europäische Kommission bestätigt, derzeit keine Mittel aus den milliardenschweren Kohäsionsfonds an Polen auszuzahlen. In der Begründung wurde genannt: „Polen hat in seiner Selbsteinschätzung angezeigt, dass es die grundlegende Voraussetzung – die (Einhaltung der) Grundrechte-Charta – nicht erfüllt.“ Solange es nicht zu einer „zufriedenstellenden“ Lösung und „wirksamen Arrangements“ zum Schutz der Grundrechte komme, so der EU-Kommissionssprecher, sind die Milliarden de facto gesperrt, auch wenn es keine förmlich Entscheidung seitens der EU-Kommission gibt, das Geld einzufrieren. Ebenso hat die EU-Kommission auch im Falle Ungarns im November 2022 die Empfehlung ausgesprochen, die Mittel an Ungarn weiterhin einzufrieren, bis tatsächlich Reformfortschritte sichtbar seien.

Mit der Machtübernahme der pro-europäischen Regierung unter Donald Tusk im Dezember 2023 ist im Falle Polens nun davon auszugehen, dass sich die Situation um Demokratie und Rechtssaatlichkeit verbessern wird. Auch die EU-Kommission sieht die Unabhängigkeit der Justiz in Polen nach dem Regierungswechsel gestärkt und hat im Februar 2024 signalisiert, die zurückgehaltenen Gelder, insgesamt 137 Milliarden Euro, freizugeben. Die neue Regierung Tusk habe die geforderten Reformen für eine größere Unabhängigkeit der Gerichte eingeleitet und beachtliche Bemühungen unternommen, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Besuch in Warschau.

In nachfolgendem Beitrag betrachten wir in einer vergleichenden Analyse die Situation von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Polen, Ungarn und Bulgarien. Des Weiteren stellen wir zu jedem Land eine gesonderte Analyse bereit.

Entwicklung seit dem Ende des Ersten Weltkriegs

Vergleicht man die historische Entwicklung Polens, Ungarns und Bulgariens, so fällt auf, dass alle drei erst spät zu modernen Nationalstaaten wurden.

Polen war vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1918 zwischen Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn geteilt. Mit der Niederlage Deutschlands und Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg war die Wiedererstehung des polnischen Staates möglich. Im Friedensvertrag von Versailles wurde die Unabhängigkeit Polens festgelegt.

Im neu geschaffenen polnischen Staat lebten viele nationale Minderheiten. Deutsche, Ukrainer, Litauer und Weißrussen stellten zusammen ein Drittel der Bevölkerung. Viele standen dem polnischen Staat sehr ablehnend gegenüber. Der polnische Staat verfolgte eine Politik „der starken Hand“ gegenüber den Minderheiten. So erklärte der damalige polnische Kulturminister Grabski: „Das polnische Land ausschließlich für die Polen“.

Der polnische Staat wurde zunehmend autoritär regiert, vor allem nach dem Militärputsch von Marschall Pilsudski im Jahr 1926. Die politische Opposition und die Presse wurden unterdrückt.  Dies änderte sich auch nicht nach dem Tod Pilsudskis im Jahr 1935.

Außenpolitisch lehnte sich Polen an England und Frankreich an. Zugleich verstärkte sich der Gegensatz zum Deutschen Reich. 1939 marschierte die deutsche Wehrmacht in Polen ein und wenige Tage später besetzten sowjetische Truppen den Osten Polens. Mit dem Angriff der Deutschen auf die Sowjetunion geriet Polen ganz unter deutsche Kontrolle, bis es 1944 vollständig von der Roten Armee erobert werden konnte. Zuvor war die Erhebung der polnischen Bevölkerung, der Warschauer Aufstand, von den Deutschen niedergeschlagen worden. Durch den Sieg der Roten Armee geriet Polen ganz in den Einflussbereich der Sowjetunion.

Ungarn war von der frühen Neuzeit bis 1918 Teil der österreichischen Habsburgermonarchie. 1867 hatte Ungarn eine sehr weitgehende Autonomie erhalten. Die Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg bedeutete den Sturz der Habsburgermonarchie und die Entstehung eines unabhängigen ungarischen Staates.

Allerdings musste Ungarn zwei Drittel seiner Gebiete, die es bis 1918 kontrolliert hatte, im Vertrag von Trianon an die Nachbarstaaten Rumänien, Jugoslawien, Tschechoslowakei und Österreich abtreten. Der sehr harte Vertrag von Trianon wurde zu einem Trauma für Ungarn, das den neu geschaffenen Staat von Anfang belastete und zur Stärkung revanchistischer und autoritärer Tendenzen führte. 1920 ergriff Admiral Horthy, ehemals Offizier in der Flotte des Habsburgerreiches, die Macht. Er regierte Ungarn bis 1944 autoritär. Die politische Opposition wurde unterdrückt. Die Pressefreiheit war eingeschränkt.  Horthy vertrat völkisch-nationalistische Ideen, die die Besonderheit des Ungarntums betonten. Vor allem die Revision des Vertrags von Trianon wurde zum erklärten Ziel von Horthy.

Ab ca. 1935 näherte sich Ungarn zunehmend dem nationalsozialistischen Deutschland an. Schließlich wurde Ungarn Verbündeter Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Allerdings hatte die Diktatur unter Horthy eher konservativen Charakter und war nicht so radikal wie die totalitäre Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten. 1945 eroberte die Rote Armee Ungarn. Horthy war bereits im Herbst 1944 von den Deutschen abgesetzt worden. Auch Ungarn geriet nun in den Einflussbereich der Sowjetunion.

Bulgarien: Der moderne bulgarische Staat hat seine Wurzeln im Jahr 1878 als die türkischen Osmanen eine schwere Niederlage im russisch-türkischen Krieg erlitten und russische Truppen Bulgarien, nach fast 500 Jahren türkischer Herrschaft, befreiten. Im Ersten Weltkrieg nahm Bulgarien auf deutscher Seite teil und erlitt am Ende des Krieges territoriale Verluste.  Auch in Bulgarien gelang es nicht, eine demokratische Ordnung aufzubauen. Der erste Premier nach dem Krieg, Stambolijski, der als Führer der Bauernpartei eine teils populistische, teils progressive Politik verfolgt hatte, wurde bei einem Putsch rechtsnationalistischer Militärs 1923 ermordet.  Ein Aufstand der Anhänger der Bauernpartei gegen die Militärs wurde niedergeschlagen und forderte tausende Tote. Es begann eine Zeit massiver Unterdrückung der politischen Opposition.

Nach einer zeitweiligen Liberalisierung kam es 1934 zu einem erneuten Putsch des Militärs. In der Folge gewann der bulgarische König, Zar Boris der Dritte, immer stärker die politische Kontrolle. Er errichtete eine autoritäre Herrschaft. Boris löste zwar nicht das Parlament auf, aber schränkte seine Bedeutung ein. Die Opposition und die politischen Parteien wurden marginalisiert. Bulgarien lehnte sich nun immer stärker an das nationalsozialistische Deutschland an. Bulgarien erklärte schließlich 1941 als Verbündeter Deutschlands England und Frankreich den Krieg, vermied aber eine Kriegserklärung gegen die Sowjetunion.

Gegen Ende des Krieges „wechselte Bulgarien die Seiten“ und verbündete sich mit der Sowjetunion. Bulgarien geriet nun, ebenso wie Polen und Ungarn, unter sowjetische Kontrolle.

Betrachtet man die Entwicklung in Polen, Ungarn und Bulgarien seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, so fällt auf, dass alle nicht in der Lage waren, stabile demokratische Verhältnisse aufzubauen. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden schließlich alle drei Staaten autoritär regiert. Presse- und Meinungsfreiheit waren seit 1918 nie wirklich garantiert und die Unterdrückung der politischen Opposition begann schon in den zwanziger Jahren.

In Bulgarien und noch mehr in Ungarn wurde diese Entwicklung vor allem durch die, aufgrund der Gebietsverluste nach dem Ersten Weltkrieg, starken revanchistischen Strömungen begünstigt. In Polen dagegen war es vor allem die Minderheitenfrage, die nationalistische Strömungen begünstigte. Gemeinsam war allen drei Staaten auch ein starker Antisemitismus. Zugleich standen die Kirchen ganz überwiegend an der Seite der nationalistischen Kräfte. Die orthodoxe Kirche Bulgariens verstand sich stets als Staatskirche und in Polen fungierte die katholische Kirche als Speerspitze der Nationalisten gegen die (überwiegend protestantischen) Deutschen und (christlich-orthodoxen) Ukrainer und Weißrussen.

Die autoritären Strukturen der Zwischenkriegszeit könnten auch eine Erklärung dafür sein, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in allen drei Staaten relativ schnell kommunistische Systeme etabliert werden konnten (und demokratische Defizite bis heute fortbestehen). Es gab keine Bürgergesellschaft, die hätte ernsthaften Widerstand leisten können.

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Die kommunistische Zeit

Bei der Errichtung des kommunistischen Herrschaftssystems leistete die stalinistische Führung der Sowjetunion aktive Hilfestellung. In allen drei Ländern etablierte sich unter dem Druck Moskaus die kommunistische Partei als alleinige Führungsmacht.  Die bürgerlichen Parteien wurden, nach einer kurzen Übergangsphase, verboten. Die sozialdemokratischen Parteien wurden zunehmend an den Rand gedrängt und danach zur Zwangsvereinigung mit den kommunistischen Parteien gezwungen. Dieser Prozess lief in Polen, Ungarn und Bulgarien ähnlich ab. Die Unzufriedenheit mit dem sehr repressiven stalinistischen Herrschaftssystem war jedoch groß. In Ungarn kam es 1956 unter Ministerpräsident Imre Nagy zu einer Auflehnung gegen die Politik der Sowjetunion und der Forderung nach Einführung der parlamentarischen Demokratie und der außenpolitischen Neutralität. Sowjetische Truppen rückten ein und es kam zu Kämpfen mit ungarischen Aufständischen. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, Ministerpräsident Nagy zum Rücktritt gezwungen und später hingerichtet. 

Fast zeitgleich kam es auch in Polen zu Protesten gegen das stalinistische System. Neuer Parteichef der Kommunisten wurde Wladyslaw Gomulka, der eine Politik der Entstalinisierung betrieb. In Ungarn kam es unter dem Nachfolger Nagys, Janos Kadar, nach einer kurzen Phase der Repression, zur Einführung des sogenannten „Gulasch Kommunismus“. Das ungarische System war liberaler als in den anderen Ostblockstaaten und es gab mehr wirtschaftliche Freiheiten.

Während es also in Ungarn und Polen nach 1956 zu Zugeständnissen der kommunistischen Führung an die Bevölkerung kam und die Zeit der schlimmsten Repression beendet war, regierte in Bulgarien Parteichef Todor Schiwkow weiter autoritär. Die Unterdrückung der Opposition und der Meinungsfreiheit war in Bulgarien stärker und brutaler als in Ungarn und Polen.

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Zeitenwende: Das Ende des kommunistischen Systems

Das Jahr 1989 markierte für alle drei Länder einen tiefen Einschnitt. In Polen war es schon im Jahr 1980 durch die freie Gewerkschaft Solidarnosc und ihres Führers Lech Walesa zu einer starken Opposition gegen das kommunistische Regime gekommen.

Mit der Einführung des Kriegsrechts 1981 wurde Solidarnosc für einige Jahre in den Untergrund gedrängt, doch schon Ende der 80er Jahre kam es zum Dialog zwischen der kommunistischen Partei und der Solidarnosc am sogenannten „Runden Tisch“. Es wurde ein friedlicher Übergang in ein demokratisches System vereinbart. Bereits im Juni 1989 kam es zu weitgehend freien Wahlen und zwei Monate später wurde Tadeusz Mazowiecki, der Kandidat der Solidarnosc, zum ersten nicht kommunistischen Ministerpräsidenten Polens seit dem Zweiten Weltkrieg gewählt.

In Ungarn trat 1988 Janos Kadar, der seit 1956 als Generalsekretär der kommunistischen Partei die Kontrolle über das Land ausgeübt hatte, von seinem Amt zurück. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeigten sich Auflösungserscheinungen in der kommunistischen Partei  und im Oktober 1989 beendete eine neue Verfassung das kommunistische System. 1990 kam es zu freien Wahlen, bei denen der christlich-konservative Politiker Jozsef Antall zum Ministerpräsidenten gewählt wurde

In Bulgarien vollzog sich der Übergang zur Demokratie später als in Polen und Ungarn. Erst im November 1989, als in den meisten anderen Ostblock Staaten der Systemwechsel bereits begonnen hatte, wurde der langjährige Machthaber und Generalsekretär der Kommunisten, Todor Schiwkow, von seiner eigenen Partei gestürzt. Sein Nachfolger Petar Mladenow scheiterte bei dem Versuch, die Machtstellung der kommunistischen Partei durch einige Zugeständnisse an die Opposition zu erhalten. Auf Druck der Opposition kam es 1990 zu freien Wahlen.

Zwar teilen Polen, Ungarn und Bulgarien eine gemeinsame kommunistische Vergangenheit, doch zeigt sich, dass Polen und Ungarn einen anderen Weg als Bulgarien gegangen sind. Dass in Polen und noch mehr in Ungarn der Kommunismus nach dem Tod Stalins weniger diktatorische Formen als in den übrigen Staaten des Warschauer Paktes annahm, ist zum einen auf die Aufstände gegen das spätstalinistische System zurückzuführen. Zum anderen haben Ungarn und Polen traditionell stärkere Beziehungen zu Westeuropa als Bulgarien, das sich gegen westliche Einflüsse viel besser abschotten konnte.

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Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaat

In Polen gewann die Solidarnosc, die zur Partei geworden war, die ersten freien Wahlen mit deutlicher Mehrheit. In den folgenden Jahren entwickelten sich rechtstaatliche Strukturen und eine weitgehend freie Presse.  In der Wirtschaftspolitik setzte die Solidarnosc auf radikale marktwirtschaftliche Reformen, die sogenannte „Schocktherapie“. In der Folge stiegen Arbeitslosigkeit und Armut rasant. Bei den Parlamentswahlen 1993 wurde die sozialistische Partei, die Nachfolgepartei der Kommunisten, stärkste politische Kraft in Polen. Die Sozialisten blieben lange eine führende Partei, um dann bei den Parlamentswahlen 2005 nur noch 11 % der Stimmen zu erreichen. Sieger der Parlamentswahl 2005 wurde die rechtskonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) unter Jaroslaw Kaczynski.

Es gelang der PiS aber nicht die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen und die Koalition mit anderen konservativen bis rechten Parteien erwies sich als instabil. Die Unzufriedenheit im Land wuchs und 2009 konnte die liberale PO (Bürgerplattform) die Wahlen gewinnen und zusammen mit der Bauernpartei die Regierung bilden. Bis 2014 war Donald Tusk Ministerpräsident, um dann von seiner Parteifreundin Ewa Kopacz abgelöst zu werden. Polen erlebte unter Tusk und Kopacz ein starkes Wirtschaftswachstum, das jedoch regional ungleich verteilt war. Die großen Städte verzeichneten starkes Wachstum, während vor allem der Osten und Südosten des Landes wirtschaftlich abgehängt wurden. Zudem blieb die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen hoch.

Im Wahlkampf des Jahres 2015 trat die PiS mit einem stark national und zugleich sozial orientierten Programm an. Bei den Wahlen erhielt sie in ländlichen Gebieten und in Ostpolen starken Zuspruch und gewann die absolute Mehrheit im Parlament. Ministerpräsidentin der PiS Alleinregierung ist Beata Szydlo. Doch die PiS wird weiterhin von Parteichef Jaroslaw Kaczynski dominiert. Kaczynski will ein neues, stark an nationalen und christlichen Werten orientiertes Polen schaffen. Dabei dient ihm der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban als Vorbild. Kaczynski fordert eine stärkere Berücksichtigung polnischer Interessen in der EU (Polen und Ungarn sind seit 2004 EU Mitglieder) und lehnt die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen in Polen. Aufgrund seiner Menschenrechtspolitik und Eingriffen in die Judikative und die Pressefreiheit gerät Polen seither fortlaufend in Konflikt mit der EU.

In Ungarn konnte, ähnlich wie in Polen, mit dem Ende des Kommunismus eine oppositionelle Partei die Wahlen gewinnen. Das konservative ungarisch-demokratische Forum regierte bis 1994, um danach von den Sozialisten (die Nachfolgepartei der Kommunisten) abgelöst zu werden. 1998 wurde erstmals Viktor Orban, Vorsitzender der Partei „Fidesz“ (Ungarischer Bürgerbund), ungarischer Ministerpräsident. Unter Orban begann die Wandlung von Fidesz von einer liberalen zu einer nationalkonservativen Partei. 2002 verlor Orban überraschend die Parlamentswahlen gegen die Sozialisten. Die Sozialisten blieben bis 2010 an der Macht. Doch umfangreiche Korruptionsskandale, eine neoliberale Politik und der Abbau sozialer Leistungen schwächten die sozialistische Partei. Zudem musste Ministerpräsident Gyurcsany einräumen, dass er die Öffentlichkeit vor den Wahlen 2006 mehrfach bewusst belogen hatte.

Demgegenüber gelang es Viktor Orban sich im Wahlkampf des Jahres 2010 als Vertreter ungarischer nationaler Interessen zu präsentieren. Seine Fidesz erlangte einen erdrutschartigen Sieg und stellte nun, zusammen mit der Christlich-Demokratischen Volkspartei, die Regierung. Während Orban in der Innen- und Gesellschaftspolitik konservativ-christliche Positionen vertritt, befürwortet er in der Wirtschaftspolitik zum Teil staatliche Eingriffe. 2010 verstaatlichte Orban die private Säule des ungarischen Rentenversicherungssystems und senkte für Arbeitnehmer und Unternehmer die Steuern. Später beschloss Orban, gegen den Widerstand der Wirtschaft, eine Bankenabgabe.  Aufgrund seiner Menschenrechtspolitik und Eingriffen in die Judikative und die Pressefreiheit gerät Orban seither fortlaufend in Konflikt mit der EU.

In Bulgarien blieb die kommunistische Partei auch nach der Wende sehr stark. Zwar hatte sie sich mittlerweile in Bulgarische Sozialistische Partei umbenannt, doch sie war nur mäßig reformorientiert.  Schon die ersten freien Parlamentswahlen 1990 konnten die Sozialisten für sich entscheiden. Bis 1997 dominierten die Sozialisten die bulgarische Politik. Von 1997 bis 2005 stellten zwar bürgerliche Parteien die Regierung, doch 2005 kamen die Sozialisten wieder für mehrere Jahre an die Regierung. Seit 2014 bildet die konservativ-national ausgerichtete Partei „Gerb“ zusammen mit dem zentristisch-konservativen „Reformblock“ eine Minderheitsregierung.

Die politische Situation in Bulgarien ist seit der Wende eher instabil. Das Land durchlebte mehrfach wirtschaftliche Krisen, die Bevölkerungszahl ist stark rückläufig, vor allem ländliche Regionen sind verarmt und die Korruption hält Wirtschaft und Politik in Griff. Auch der EU Beitritt 2007 hat an diesen grundlegenden Problemen des Landes wenig geändert.  Dies sind schlechte Grundlagen für Pressefreiheit und eine rechtsstaatliche Entwicklung des Landes.

Betrachtet man die Entwicklung Bulgariens, Polens und Ungarns seit 1989, so fällt auf, dass es überall zu häufigen Regierungswechseln kam. In den 90er Jahren erlitten alle drei Länder schwere wirtschaftliche Krisen. In Polen, etwas schwächer auch in Bulgarien und Ungarn, hat sich seitdem die wirtschaftliche Situation stabilisiert. Die Parteiensysteme sind aber weiterhin durch eine hohe Instabilität gekennzeichnet. Während bis Anfang des 21. Jahrhunderts die Sozialisten, als Nachfolger der kommunistischen Staatsparteien, eine dominante Position innehatten, haben sie seitdem an Einfluss verloren.

Auffallend ist, dass die bürgerlichen Parteien, die in der Wendezeit die Opposition gegen die Kommunisten angeführt haben, sich seitdem entweder aufgelöst oder vollkommen an Bedeutung verloren haben. Stattdessen wird jetzt die Politik in Polen und Ungarn von national-populistischen Parteien dominiert. Auch in der aktuellen Politik gegenüber der EU gibt es Gemeinsamkeiten der drei Staaten, wobei die Kritik an Brüssel in Warschau und Budapest schärfer ausfällt als in Sofia.

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Pressefreiheit

Polen: 

Die Wende 1989 bedeutete für Polen auch das Ende der Zensur durch den kommunistischen Staat. Im März 1990 beschloss das polnische Parlament, den staatlichen Pressekonzern RSW zu zerschlagen und die Zeitungen zu privatisieren oder den Redaktionsgemeinschaften zu überlassen. Die Maßnahme trug zum Entstehen einer vielfältigen Presselandschaft bei. Die führenden Tageszeitungen wurden die linksliberale „Gazeta Wyborcza“ und die konservative „Rzeczpospolita“. Auch ausländische Medienkonzerne drängten auf den polnischen Markt. Stark engagiert ist der deutsche Axel Springer Verlag, dessen polnische Tochter seit 2006 die konservative Tageszeitung „Dziennik“ herausgibt sowie das Boulevardblatt „Fakt“, das sich an der Bildzeitung orientiert. 

Die Rundfunk- und Fernsehanstalten blieben auch nach der Wende im staatlichen Besitz. Daneben wurden Privatsender zugelassen.

Theoretisch sollen in Polen staatliche Institutionen keinen Einfluss auf die Sender ausüben können. Doch schon in den neunziger Jahren gab es vonseiten der Parteien Versuche den nationalen Rundfunk- und Fernsehrat mit eigenen Gefolgsleuten zu ersetzen. Der Rat hat die Aufgabe die Fernseh- und Rundfunksender zu beaufsichtigen und Lizenzen zu vergeben. Schon in der ersten Amtsperiode der PiS von 2005 bis 2009 kam es zum Versuch der Einflussnahme. So wurden leitende Fernseh- und Radiomitarbeiter auf Druck der Regierung entlassen oder versetzt. Zudem wollte die Regierungskoalition unter Führung der PiS eine Kontrollinstanz zur Beaufsichtigung der Medien schaffen. Nach scharfer Kritik vonseiten der Verlage und Journalisten zog die Regierung ihr Vorhaben wieder zurück.

Dagegen gelang es der PiS 2006 einen ihr genehmen Chefredakteur der Zeitung „Rzeczpospolita“ einzusetzen. „Rzeczpospolita“ unterstützte danach eindeutig die Politik der Regierungskoalition unter Führung der PiS. Auch „Fakt“ und „Dziennik“, die Publikationen des Verlags Axel Springer, stellten sich auf die Seite der PiS. Dabei vertraten sie sehr europakritische Positionen und appellierten manchmal auch an antideutsche Ressentiments.

Mit dem Regierungsantritt der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) im Oktober 2007 lockerte sich die staatliche Medienpolitik wieder. Aber es gab auch vonseiten der PO mitunter den Versuch die Medien im eigenen Sinne zu lenken, zum Beispiel bei der Besetzung der Intendantenposten. Mit dem Wahlsieg der PiS im Herbst 2015 hatte sich die Situation für die Medien in Polen abermals verschlechtert. Dis PiS hatte mit ihrer Mehrheit im Parlament ein neues Mediengesetz verabschiedet und damit den Rundfunkrat ausgeschaltet. Zudem hatte die Partei nun die Möglichkeit, die wichtigen Posten in den staatlichen Sendern mit eigenen Leuten zu besetzen. In Folge des Regierungswechsels waren über 140 Journalisten in den öffentlichen Rundfunkanstalten entlassen worden oder hatten selbst gekündigt..

Das Mediengesetz stößt seit Jahren auf scharfe Kritik in der EU. EU-Kommissar Oettinger sprach in seiner Amtszeit von den Gefahren für den Rechtsstaat in Polen. Andere Kritiker sprechen sogar von einer „Orbanisierung“ oder „Putinisierung“ Polens.

Im Dezember 2020 gab der staatliche Ölkonzern Orlen bekannt, dass er von der Verlagsgruppe Passahu die Polska Press übernimmt. 20 von Polens 24 regionalen Tageszeitungen, zudem 120 Wochenzeitungen und 500 Internetportale sowie Druckereien gelangen damit in Staatsbesitz. Ferner ist ein Gesetz zur „Repolonisierung der Medien“ in Polen schon in Vorbereitung, es soll ausländischen Eigentümern die Kontrolle von Medien verbieten. Zudem gab die Regierung bekannt, Medien ab Juli 2021 mit einer Sondersteuer zu belegen.

Das Polnische Parlament stimmte im August 2021 über ein umstrittenes neues Mediengesetz ab. Obwohl die nationalkonservative Koalition dabei zerbrach, konnte die Regierungspartei PiS ihr vielfach kritisiertes Rundfunkgesetz durch das Parlament bringen. Laut dem Gesetzentwurf sollten in Polen Rundfunklizenzen nur noch dann an Ausländer vergeben werden, wenn diese „ihre Zentrale oder ihren Wohnsitz im Bereich des Europäischen Wirtschaftsraums haben“. Das Gesetz zielt nach Ansicht von Kritikern hauptsächlich auf das unabhängige und regierungskritische Sendernetzwerk TVN ab, das über eine in den Niederlanden registrierte Holding Teil des US-Konzerns Discovery ist. Tritt das Gesetz in Kraft, muss der US-Konzern seine Mehrheitsbeteiligung an dem Netz verkaufen. Der Privatsender TVN hat zahlreiche Kanäle. Seitens der EU und den USA wurde das Gesetz als Bedrohung der Pressefreiheit kritisiert.

So hatte der polnische Präsident Andrzej Duda im Dezember 2021 ein Veto gegen das Gesetz eingelegt. Die Vorlage sei bei vielen Landsleuten unbeliebt und habe dem Ruf Polens als Unternehmensstandort geschadet. so Duda. Das vom Parlament gebilligte Vorhaben konnte somit nicht in Kraft treten. Die Opposition begrüßte den Schritt. Auf einer Protestkundgebung äußerte sich Donald Tusk, Vorsitzender der oppositionellen Bürgerplattform: Dudas Entscheidung für ein Veto mache deutlich, wie wichtig Druck von den USA sei - und Druck von der Straße, erklärte Tusk. „Soll niemand mehr sagen, dass es nicht der Mühe wert ist, dass es unmöglich ist, dass wir nichts tun können. Wir können und wir müssen", so Tusk..

Die Parlamentswahlen 2023 haben gezeigt, dass sich für die Opposition um Donald Tusk das Engagement gelohnt hat. Nach Jahren der PiS-Regierung kam es zu eine Regierungswechsel, der sogleich einen Machtkampf um das Thema Medien zwischen der Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk und der abgewählten nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski entfachte. Der neue Kulturminister hatte im Dezember 2023 die bisherigen Aufsichtsgremien und Vorstände der drei Medien entlassen und neu besetzt. Daraufhin brach eine Protestwelle aus, PiS-Abgeordnete drangen in die Zentralen des öffentlich-rechtlichen  Fernsehens ein, um zu verhindern, dass die neuen Chefredakteure die Arbeit aufnehmen, besetzten die Redaktionsräume, es kam zu Handgemengen mit den Ordnungskräften. Schließlich hat die Regierung zum Jahresende 2023 die öffentlich-rechtlichen Medien ganz aufgelöst.

Nun strebt die neue Regierung eine umfassende Medienreform an,um die seit langem bestehende politische Einflussnahme auf die Informationsprogramme in Polen von Grund auf anzugehen. Die Umsetzung eines neuen Mediengesetzes ist jedoch ohne die Zustimmung des Präsidenten in Polen nicht möglich. Da die Regierungskoalition nicht über eine ausreichende Zahl an Abgeordneten verfügt, ist sie auf das  Einlenken des Staatsoberhauptes angewiesen. PiS-Anhänger werfen ihrerseits der neuen Regierung Gleichschaltung vor. Erstmals im freien Polen nach 1989 käme es zu einem Versuch, die öffentlich-rechtlichen Medien mit Gewalt zu übernehmen, so der PiS-nahe Präsident Duda in seiner Neujahrsansprache. Er werde eine solche Verletzung der Verfassung nicht dulden. Prestige und Glaubwürdigkeit der betroffenen Medien leiden unter der derzeitigen Lage, bleibt für die Zukunft zu hoffen, dass die Medien in Polen besseren Zeiten entgegen gehen. 

Das International Press Institute, die älteste Organisation zur Stärkung der Pressefreiheit, hatte Polen in einem Bericht bereits 2021 scharf kritisiert. Das Land habe unter der PiS-Regierung die Pressefreiheit durch juristische Schikanen und physische Angriffe, Entzug staatlicher Anzeigen, Manipulationen beim Vertrieb und regulatorische Diskriminierung umfassend geschrumpft.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Polen relativ weit unten platziert. Im Jahr 2023 lag es auf Platz 57. Zum Vergleich: Deutschland liegt im selben Jahr auf Platz 21..

Reporter ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit 2023
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Ungarn:

In seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident in den Jahren 1998 bis 2002 griff Viktor Orban, ähnlich wie die anderen demokratischen Regierungen seit 1990, wenig in die Pressefreiheit ein. Zu dieser Zeit befand sich Orban auf einem eher proeuropäischen Kurs. Er hatte kein Interesse an Konflikten mit der EU über den Zustand der Pressefreiheit in Ungarn, zumal Ungarn zu diesem Zeitpunkt nur Anwärter auf eine Mitgliedschaft in der EU war. Somit unterschied sich Orbans Medienpolitik kaum von der nachfolgenden Koalition unter Führung der sozialistischen Partei.

Bis 2010 demonstrierten die staatlichen Medien bewusst ihre Unabhängigkeit von der Regierung. So erschien 2006 im öffentlich-rechtlichen Radio eine heimlich mitgeschnittene Tonbandaufnahme des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany. Darin sagte er, dass seine Partei „Tag und Nacht gelogen hat“, um den Wahlsieg seiner Partei zu sichern. In der Folge kam es zu Massenprotesten und die Sozialisten verloren massiv an Vertrauen. Dies begünstigte den Wahlsieg Orbans im Jahr 2010. Diesmal ging Orban viel entschiedener daran die Medienlandschaft Ungarns umzugestalten als in seiner ersten Amtszeit.

Bereits 2010 beschloss die Regierung ein Gesetz, das  es den Behörden erlaubt, Medien zu kontrollieren und zu bestrafen. Die zwei Drittel Mehrheit der Regierung im Parlament machte die Verabschiedung des repressiven Mediengesetzes möglich. Zugleich begannen Behörden und staatliche Unternehmen damit, keine Anzeigen mehr in kritischen Medien zu veröffentlichen. Zudem werden kritische Sender, wie das oppositionelle „Klubradio“, in Ungarn bei der Vergabe von Frequenzen benachteiligt.

Die drei Fernsehsender M1, M2 und Duna-TV wurden zusammengelegt, und mit drei überregionalen Radiosendern zu MTV A mit einer gemeinsamen „Superredaktion“ vereinigt. Die Chefredakteure sind nun Fidesz Gefolgsleute. Bei kritischen Berichten ausländischer Korrespondenten über die ungarische Regierung interveniert diese mitunter auch direkt bei den jeweiligen Auslandssendern, zum Beispiel beim ORF (Österreichischer Rundfunk).

Im Jahr 2014 musste der Chef des größten ungarischen Nachrichtenportals „origio.hu“ auf Druck der Regierung seinen Posten räumen. Bemerkenswert dabei ist, dass origo.hu der Firma Magyar Telekom gehört, die eine Tochter der Deutschen Telekom ist. Die Telekom erklärte die Entscheidung mit „internen Umstrukturierungen, auf die die Deutsche Telekom zu keinem Zeitpunkt Einfluss genommen habe“.  

Die Kritik an der ungarischen Pressepolitik in der EU wurde stärker. Während anfangs vor allem Kritik von führenden Sozialdemokraten kam, warnte schließlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel „Als künftiges EU-Vorsitzland trägt Ungarn eine besondere Verantwortung für das Bild der gesamten EU in der Welt.“ Der tschechische Außenminister Schwarzenberg kritisierte das ungarische Mediengesetz als „gefährlich“ und der Vorsitzende der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, spottete: “Die Zeit der Prawda ist vorbei“.

Zusammenfassend lässt sich festhalten; Seit Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei 2010 an die Regierung kamen, haben sie Ungarns Medienlandschaft Schritt für Schritt unter ihre Kontrolle gebracht. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender wurden in der staatlichen Medienholding MTVA zentralisiert. Die regionale Presse ist seit dem Sommer 2017 vollständig im Besitz Orban-freundlicher Unternehmer. Im Herbst 2018 wurden fast 500 regierungsnahe Medienunternehmen in einer Holding zusammengefasst, um ihre Berichterstattung zentral zu koordinieren. Wichtige kritische Medien wie die überregionalen Zeitungen  wurden eingestellt. Regierungskritische und investigative Berichte finden über Online-Portale nur noch geringe Verbreitung.

Im Februar 2021 ging nun auch noch der letzte unabhängige Radiosender vom Netz. Die Hoffnungen ruhen nun auf der EU.  Die bestehenden Vorschriften des Artikels 7 des EU-Vertrages sehen bei Vertragsverletzungen den Entzug von Fördergeldern vor. Bislang gingen jedoch alle Versuche, den Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen auf diese Weise zu sanktionieren, ins Leere.

Pegasus-Skandal

Für einen Skandal sorgen weiterhin die Enthüllungen über die Ausspähungen ungarischer Journalisten mittels der Software „Pegasus". Die Pariser Non-Profit-Redaktion Forbidden Stories und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bekamen Zugang zu den sensiblen Daten und teilten ihn mit einem internationalen Journalistenkonsortium, an dem auch NDR und WDR beteiligt sind. Sie entdeckten auch Telefonnummern ungarischer Journalisten auf einer Liste mit Ausspähzielen; ebenfalls die Kontakte einiger mutmaßlicher Krimineller, aber auch die von hochrangigen Medienmanagern, Rechtsanwälten oder Oppositionspolitikern. Die ungarische Regierung gab an, nichts über die Datensammlung zu wissen. Die ungarische Opposition sieht das anders und kritisiert die Fidezs-Partei unter Orban scharf. "Meiner Meinung nach ist das ein Dolchstoß in den Rücken der Pressefreiheit und der Demokratie", sagt Ana Orosz von der Momentum-Bewegung.

Auch die EU äußerte scharfe Kritik an der Überwachungssoftware. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen forderte eine Überprüfung der Enthüllungen über die weltweite Ausspähung von Journalisten, Aktivisten und Oppositionellen. "Wenn es stimmt, dann ist es komplett inakzeptabel", sagte von der Leyen. Das Ausmaß ist größer als gedacht, insgesamt geht es offenbar um eine Größenordnung von 50.000 Telefonnummern aus einer ganzen Reihe von Ländern, darunter Journalisten, Vertreter von Regierung und Opposition, Menschenrechtsaktivisten. Offenabr sollen auch eine ganze Reihe an Staatschefs ausgespäht worden sein, darunter  auch der französische Präsident Emmanuel Macron.

Die Software Pegasus infiltriert Smartphones, späht persönliche Daten aus und kann auch Kamera und Mikrofon des Handys aktivieren. Im Fall von Journalisten kann so die Kommunikation mit Quellen verfolgt werden. Nahezu jedes Mobiltelefon weltweit lässt sich hacken. Pegasus kann heimlich auf Handys installiert werden, ohne dass der Besitzer etwas davon ahnt, auch aus der Ferne. Politiker und Verbände üben scharfe Kritik und fordern Aufklärung. Insbesondere in Händen von autoritätren Staaten bzw. Ländern, in denen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie untergraben werden, kann Pegasus eine gefährliche Cyberwaffe sein. Neben Ungarn gehören laut den veröffentlichten Recherchen auch Aserbaidschan, Bahrain, Indien, Kasachstan, Mexiko, Marokko, Ruanda, Saudi-Arabien, Togo und die Vereinigten Arabischen Emiraten zu jenen Staaten, die Ausspähungen veranlasst haben sollen .

Ausführliche Informationen über den Pegasus-Skandal auf dem Portal Netzpolitik

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zwar die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Ungarn, Polen und Bulgarien durchaus unterschiedlich sind, aber die Pressefreiheit überall stark bedroht ist.

Auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen für das Jahr 2021 liegt Polen auf Platz 57, Ungarn auf Platz 72 und Bulgarien auf Platz 71. Zum Vergleich: Deutschland liegt auf Platz 21.

Reporter ohne Grenzen führt auch eine Liste der "Feinde der Pressefreiheit", in der sie jene Personen aufführt, die drastisch die Pressefreiheit unterdrücken. Seit Juli 2021 wurde Ungarns Ministerpräsident Orban nun ebenfalls  auf die Liste gesetzt - als erster Regierungschef aus der Europäischen Union. Die Liste umfasst derzeit 37 Staatsoberhäupter und Regierungschefs.

Reporter ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit 2023

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Justiz und Verfassung

Der Judikative kommt neben Exekutive und Legislative in der Demokratie eine besondere Bedeutung zu. Daher sind Eingriffe in die Judikative auch besonders problematisch. In autoritären Staaten ist die Judikative nicht unabhängig vom Staat und der politischen Macht.

Polen: 

Der Verfassungsgerichtshof, der über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und internationalen Verträgen urteilt sowie Verfassungsbeschwerden behandelt, nimmt eine sehr wichtige Funktion im polnischen Rechtssystem ein. Daneben kommt auch dem Staatsgerichtshof, der die Handlungen von Politikern und hohen Funktionsträgern auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung und der Gesetzgebung prüft, besondere Bedeutung zu.

Seit dem Ende des Kommunismus konnten diese beiden Instanzen weitgehend unbehelligt von der politischen Macht ihre Aufgaben wahrnehmen. Zu ernsthaften Konflikten zwischen Exekutive und Legislative kam es jedoch in der ersten Legislaturperiode der PiS-Regierung in den Jahren 2005 bis 2009. So beschloss die Koalition aus der PiS und zwei anderen rechten Parteien das sogenannte „Durchleuchtungsgesetz“. Mit ihm sollten Beamte, Politiker und Journalisten auf frühere Kontakte mit der kommunistischen Staatssicherheit geprüft werden. Falls sie sich weigerten, die geforderten Angaben zu machen, sollte ihre Entlassung erfolgen. Das Gesetz wurde vom Verfassungsgericht als Eingriff in die Menschenrechte für verfassungswidrig erklärt. Auch ein Gesetz, mit dem eine Kommission zur Kontrolle der Tätigkeit der Nationalbank geschaffen werden sollte, wurde vom Verfassungsgericht eingezogen. In der nachfolgenden Regierungszeit der liberal-konservativen PO musste das Verfassungsgericht ebenfalls einige Male Gesetze „kassieren“, auch wenn diese in ihren politischen Intentionen nicht so weit gingen wie die Vorhaben der PiS.

Massiv verschlechtert hat sich das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative allerdings erst mit dem Wiederantritt der PiS-Regierung, die mit einer absoluten Mehrheit im Parlament ausgestattet ist. Der PiS-Vorsitzende Kaczynski hat erklärt, dass für ihn Entscheidungen des Verfassungsgerichtes nicht bindend seien. Ausgangspunkt des Konfliktes war eine von der Regierung geplante Reform des Verfassungsgerichtes. Das Verfassungsgericht sah dadurch seine Arbeit gefährdet, zum Beispiel durch die Bestimmung, dass künftig die Verfassungsrichter nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit statt einer einfachen Mehrheit Beschlüsse fällen könnten. Dies würde die Arbeit des Verfassungsgerichtes ebenso behindern wie die Bestimmung, dass das Verfassungsgericht die Fälle in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Einreichung und nicht mehr ihrer Bedeutung entsprechend behandeln müsse.

Vertreter der EU und des Europarates sehen in den Justizreformen eine Gefahr für Demokratie und Menschenrechte. Bereits seit 2016 läuft ein EU-Verfahren gegen Polen aufgrund der umstrittenen Justizreform. Die EU wirft der polnischen Regierung eine Missachtung der „Regeln der Demokratie“ vor.

Die EU-Kommission verschärfte im Streit über die polnische Justizreform ihren Kurs gegen die Regierung in Warschau im Zuge der 2018 neu geschaffenen Disziplinarkammer am Obersten Gericht, welche die Aufsicht über alle Richter hat. Vorgesehen ist dabei, dass Richter mit Geldstrafen, Herabstufung oder Entlassung rechnen müssen, wenn sie die Entscheidungskompetenz oder Legalität eines anderen Richters, einer Kammer oder eines Gerichts infrage stellen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen. Polen verletze damit EU-Recht, weshalb die EU-Kommission im Oktober 2019 auch erneut ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen gestartet hat.

Im Juli 2021 erging  das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, dass Polen mit der neuen Disziplinarordnung für Richter „gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat“. Daraufhin entschied das polnische Verfassungsgericht, dass die Anordnungen des Europäischen Gerichtshofs gegen Polens Justizreformen nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien. Polen gab an, prüfen zu wollen, ob die nationale Verfassung Vorrang vor EU-Recht hat. Kritiker der Regierung befürchten einen Schritt in Richtung Polexit – also dem Austritt Polens aus der EU.


Informationen über den Europäischen Gerichtshof


Im August 2021 hatte Polen im Streit mit der EU zunächst teilweise eingelenkt. Warschau werde die Disziplinarkammer für Richter abschaffen, zumindest in  ihrer jetzigen Form,  so  Kaczynski,  Chef der regierenden PiS-Partei. Die ersten Änderungsvorschläge zur Justizreform sollten im September vorgelegt werden. Er ließ aber durchblicken, das Ende der Kammer bedeute nicht, dass nicht andere Institutionen zur Richter-Disziplinierung an ihre Stelle treten würden. Es müsse überprüft werden,  ob nationales Recht in Polen vor dem EU-Recht gelten soll. Indessen hat Präsident Duda in einem Gesetzesentwurf vorgeschlagen, die umstrittene Disziplinarkammer aufzulösen bzw. durch ein anderes Gremium mit der Bezeichnung „Kammer für berufliche Verantwortung" mit elf Richtern zu ersetzen. Kritiker halten dies für eine Finte, die in der Sache nicht viel ändere.

Anfang  Oktober 2021 war das polnische Verfassungsgericht zu folgendem Urteil gekommen: Teile des EU-Rechts seien unvereinbar mit der Verfassung Polens. Zwar sei Polen auch weitehin bereit, EU-Regeln zu respektieren, aber nur in von den EU-Verträgen ausdrücklich und direkt abgedeckten Bereichen. Es müsse eine klarer Aufteilung nationaler und europäischer Kompetenzen vorgenommen werden. Polen möchte zwar in der EU verbleiben und von den finanziellen Vorteilen der Gemeinschaft profitieren, möchte sich aber nicht mehr den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs unterwerfen, wenn es um nationale Fragen geht.

Es stimme nicht, dass „noch nie“ der Vorrang europäischen Rechts vor nationalem Verfassungsrecht infrage gestellt worden sei. Vielmehr sei der Vorrang europäischen Rechts vor nationalem Verfassungsrecht noch nie vereinbart worden, so der ungarische Journalist Boris Kálnoky. Im Lissabonner Vertrag sei auf eine förmliche Festschreibung des Vorrangs europäischen Rechts vor den nationalen Verfassungen verzichtet worden. Die EU könne nur in jenen Bereichen tätig werden, in denen sie Kraft der EU-Verträge dazu ermächtigt wurden. Dass Entscheidungen des EuGH grundsätzlich Vorrang haben auch vor den Verfassungen der Mitgliedsstaaten, das hätten die EU-Richter in der Folge einfach selbst beschlossen. Im Streit um Polens Justizreform gehe es der EU daher in erster Linie um Machtverteilung  und die Frage, ob die EU ein de facto Staat oder ein Bündnis souveräner Nationalstaaten sein soll. Grundlage der Souveränität eines jeden Staates sei dessen Verfassung, so Kálnoky.

Wie verhält sich nationales Recht zu EU-Recht? – Positionen in der Debatte

In Polen könne man den systematischen Versuch beobachten, wie das Land in den vergangenen Jahren zum einen die Justiz demontiere und zum anderen neuerdings zudem versuche, diese Demontage auch europarechtsfest zu machen, um ein Einschreiten des Europäischen Gerichtshofs zu verhindern, so Rechtsexperte Franz Mayer. Das polnische Verfassungsgericht soll instrumentalisiert werden, um die europäische Rechtsordnung abzuwehren mit dem Ziel, das polnische Recht ganz grundsätzlich über das europäische Recht zu stellen, so die Meinung des Experten. Das Verfassungsgericht sei mittlerweile eine politische Marionette geworden. Auf die eigene Bevölkerung wirke es überzeugender, wenn das Verfassungsgericht vorgeschickt werde und sich mit pseudo-rationalen Argumenten legitimiere, welche angeblich aus der Verfassung stammen. Mit diesen Argumenten behaupte man dann, dem Europäischen Gerichtshof nicht Folge leisten zu müssen. Ziel der polnischen Regierung sei nicht in erster Linie der Polexit, sondern die Europäische Union von innen heraus zu verändern, indem sie die europäische Rechtsordnung infrage stelle: „Das ist viel gefährlicher als ein Polexit”, so  Politikwissenschaftler  Piotr Buras.

Auch andere Regierungen wie Ungarn und noch einige weitere Staaten in der EU argumentieren ähnlich und haben vergleichbare Ansichten. Sie weisen darauf hin, dass auch andere EU-Mitgliedstaaten bereits gegen Urteile des EuGH vorgegangen seien. Unter anderem habe auch Deutschland mit seinem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2020 eine partielle Verfassungswidrigkeit des EZB-Programms ausgemacht. Dieses Urteil sei jedoch qualitativ nicht vergleichbar mit dem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts vom Oktober 2021, so der Rechtswissenschaftler Alexander Thiele: „Unabhängig davon, wie man zu dem Urteil des BVerfG steht, hat das polnische Urteil eine völlig andere Qualität. Es rüttelt an den Grundfesten der europäischen Integration, beeinträchtigt in massiver Weise die Funktionsfähigkeit des supranationalen europäischen Gerichtsverbunds“.

In einem Pro & Contra zum Rechtsstreit argumentiert Christoph von Marshall, Vorrang habe EU-Recht nur in jenen Bereichen, in denen die Nationalstaaten die Zuständigkeit an die EU abgetreten hätten, die Organisation der Gerichte gehörten nicht dazu. Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht akzeptiere keinen generellen Rechtsvorrang, nur einen Anwendungsvorrang europäischen Rechts in Bereichen geteilter Zuständigkeit. Wo die EU hingegen weder allein noch teilweise zuständig sei, bestehe auch Karlsruhe auf dem Vorrang nationalen Rechts (siehe auch BpB: Grundgesetz und EU-Recht). Dem Warschauer Urteil liege ein großer Irrtum zugrunde, argumentiert  hingegen  Albrecht Meier. Die Regierung in Warschau denke offenbar, dass jedes EU-Land nach eigenem Belieben Entscheidungen der Luxemburger Richter für null und nichtig erklären könne. Wenn sich diese Einschätzung in der EU durchsetze, käme das der Auflösung der Gemeinschaft gleich.

Die Historikerin und Slavistin Alix Landgrebe verweist auf das nationale Selbstverständnis von Staaten wie Polen, das in hohem Maße selbstreferenziell sei. Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion wie auch Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes  würden bis heute danach sterben, ihr nationales Selbstverständnis zu konsolidieren und teilweise aggressiv ihre Interessen zum Ausdruck bringen.  So seien etwa die Vysehrad-Staaten zwar Mitglieder der EU,  jedoch – insbesondere im Falle Polens und Ungarns – nicht wirklich bereit, sich in diese Struktur zu integrieren, weil ihr Streben nach nationaler Konsolidierung  zu groß sei, so Landgrebe.

Reaktonen und Maßnahmen der EU

Die Europäische Kommission versucht seit Jahren, Polen Einhalt zu gebieten und die Verletzungen der rechtsstaatlichen Prinzipien zu ahnden. Letztendlich verfügte sie aber bislang über  keine ultimativen Durchsetzungsmittel. Sie drohte Polen mit der Aussetzung von Zahlungen, wie etwa aus dem Coronahilfsfond, und  Geldstrafen. Sollte die Regierung in Warschau die Disziplinarkammer nicht wie vom  Europäischen Gerichtshof gefordert aussetzen, werde Brüssel die Zahlung eines Bußgeldes gerichtlich beantragen, kündigte EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova im Juli 2021 an.

Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts vom Oktober 2021 hat das Fass zum Überlaufen gebracht und ein politisches Erdbeben in Brüssel ausgelöst. Dementsprechend heftig die Reaktionen. Polen rüttle an den Grundfesten der EU und begebe sich auf einen Weg in den Polexit , so die Befürchtung. David Sassoli, der damalige Präsident des Europäischen Parlaments erklärte, das Urteil könne nicht ohne Folgen bleiben, der Vorrang von EU-Recht müsse unbestritten sein. Wer gegen diesen Grundsatz verstoße, bedrohe eines der Gründungsprinzipien der EU: „Wir rufen die EU-Kommission auf, die notwendigen Schritte zu unternehmen.“ Bereits im Sommer hatte das Europäische Parlament den Druck auf die Europäische Kommission erhöht und gedroht, die Kommission zu verklagen, wenn sie nicht bald handle. Ende Oktober 2021 erging nun tatsächlich die Klage an die EU Kommision wegen Untätigkeit, den Worten müssten Taten folgen, so EU-Parlamentspräsident Sassoli.

Auch der Europäische Gerichtshof wurde in Sachen der Justizrefom Polens erneut aktiv. Am 27. Oktober 2021 hat der EuGH Polen zu Geldstrafen verurteilt. Das Land soll täglich eine Million Euro Strafe an die EU-Kommission zahlen. Warschau habe die EuGH-Entscheidung bezüglich der umstrittenen Justizreform noch nicht umgesetzt, begründete das Gericht seinen Beschluss. Das sei aber notwendig, um ernsthaften Schaden von der EU abzuwenden. Als weiteres Druckmittel hält die EU auch die dem Land eigentlich zugewiesenen Mittel über 36 Milliarden Euro aus dem Coronahilfsfond noch immer zurück.

Die Reaktionen in Warschau fielen unterschiedlich aus, während Vize-Justizminister Sebastian Kaleta das Urteil der Luxemburger Richter unmittelbar nach der Verkündung als „Erpressung“ kritisierte und die Strafzahlungen zurückwies, hatte Premierminister Mateusz Morawiecki das EuGH-Urteil zunächst noch nicht kommentiert. In den Tagen zuvor hatte er Brüssel jedoch davor gewarnt, Polen die „Pistole an den Kopf zu setzen“ und den   „dritten Weltkrieg” zu starten. Für die polnische Opposition dagegen war das Urteil des EuGH die klare Bestätigung, dass die PiS mit ihrer Justizreform gescheitert ist und die Rechtsstaatlichkeit in Polen so schnell wie möglich wieder hergestellt werden müsse.

Da Polen den Beschluss des Europäischen Gerichtshofs zur Justizreform noch immer nicht umgesetzt hat, verlangt die EU-Kommission im Januar 2022 nun die Zahlung von 69 Millionen Euro Strafe (die Strafe war auf 1 Million täglich angesetzt worden bei Nicht-Umsetzung). Polen hat 60 Tage Zeit, auf die Zahlungsaufforderung zu reagieren, ansonsten werde die Strafe wie im Turow-Fall über Zahlungen an Polen aus dem EU-Haushalt ausgeglichen bzw. einbehalten. Da Polen den Braunkohleabbau im Tagebau Turów an der Grenze zu Sachsen trotz Anordnung des EuGH im Mai 2021 nicht ausgesetzt hatte, erging in diesem Fall eine tägliche Strafzahlung von 500.000 an Polen. Auch auf diese Zahlungsaufforderung war Polen nicht eingegangen, weshalb im Februar 2022 die EU nun 60 Millionen Euro einbehalten hat. Ein Präzedenzfall: Erstmals hat Brüssel dem EU-Mitglied Polen Teile seiner Geldmittel abgezogen, um damit fällige Geldbußen zu kompensieren.

Mehrheit der Polen pro EU und Rechtsstaatlichkeit

Auch im Land selbst regt sich Widerstand gegen die Justizreform.  Der frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk rief seine Landsleute zu Protesten auf. Die Bevölkerung versammelte sich im Oktober 2021 zu Zehntausenden in mehreren Städten Polens, um sich gegen den aktuellen Kurs der Regierung Kacinski und für einen Verbleib ihres Landes in der EU stark zu machen. „Wir müssen Polen retten, niemand sonst wird das für uns tun“, so Donald Tusk. Die pro-europäische polnische EU-Abgeordnete Rosa Thun betont: Eine große Mehrheit von 80 Prozent der polnischen Bevölkerung würde in der EU bleiben wollen und sei demokratisch orientiert. Was die polnische Regierung mache, falle auf alle Polen zurück, auch auf jene, die wegen der Entscheidung extrem besorgt und nicht damit einverstanden seien. Überall im Land würden sich die Menschen mobilisieren, die sozialen Medien seien voll von Bekundungen: Wir sind Europäer! Europa bin ich! Europa sind wir! Europa ist hier!

Ungarn:

Es gibt durchaus Parallelen zwischen der Politik der ungarischen und der polnischen Regierung in Bezug auf Verfassung und Justiz. Allerdings ist die ungarische Regierung bereits seit 2010 im Amt. So sind die Änderungen in Ungarn weitreichender.

Das ungarische Verfassungsgericht, das im Wendejahr 1990 nach deutschem Vorbild eingerichtet wurde, hatte ursprünglich eine sehr starke Stellung. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass das ungarische Parlament nur aus einer Kammer besteht. Mit der Bestimmung, dass nur die Regierungsfraktion und nicht mehr ein paritätisch besetzter Parlamentsausschuss die Verfassungsrichter vorschlagen kann, hatte Orbans Partei Fidesz angesichts ihrer Mehrheit im Parlament die Kontrolle über die Ernennung der Verfassungsrichter gewonnen. Zugleich ließ Orban die Zahl der Verfassungsrichter von elf auf fünfzehn erhöhen, wodurch gleich mehrere neue, Orbans Politik nahestehende, Richter ins Verfassungsgericht berufen wurden.

In den Jahren 2011 und 2012 kippten die Verfassungsrichter trotzdem mehrere von der Regierung Orban beschlossene Gesetze, zum Beispiel Teile der Wahlrechtsreform. Daraufhin ließ Viktor Orban die vom Verfassungsgericht verhinderten Gesetze mit Hilfe seiner zwei Drittel Mehrheit im Parlament in den Verfassungsrang erheben. Dadurch können diese Gesetze nicht mehr vom Verfassungsgericht gestoppt werden. Als Reaktion auf dieses Vorgehen griff EU-Justizkommissarin Viviane Reding die Regierung Orban scharf an und drohte mit dem Entzug des Stimmrechts für Ungarn in der EU. Da es in der EU keine Einigung darüber gibt, wie mit Ungarn zu verfahren ist, blieb die Drohung Redings letztendlich ohne Folgen.

Nach dem Ende des Kommunismus galt in Ungarn noch die alte, kommunistische Verfassung aus dem Jahr 1949. Nur eine Verfassungsänderung aus dem Jahre 1989 definierte Ungarn als Rechtsstaat und parlamentarische Demokratie. Bereits 2011 kritisierte Orban, dass Ungarn ein neues Grundgesetz brauche, da die alte Verfassung sich zu stark am sowjetischen Vorbild orientiere. Noch im selben Jahr verabschiedete die Fidesz Fraktion im Parlament ein neues Grundgesetz, das zum 1.1.2012 in Kraft trat.

Die neue Verfassung ist stark vom nationalen Gedanken geprägt. Ungarn soll auf Basis seiner ethnischen und historischen Zugehörigkeit geeint werden. Problematisch ist diese Definition in Bezug auf Minderheiten wie die Roma. Außerdem wird der christlichen Religion eine Vorrangstellung eingeräumt. Kritiker sehen darin eine Verletzung der religiös-grundanschaulichen Neutralität. Die freie Religionsausübung ist weiter garantiert. Allerdings wird die Gewährung des Kirchenstatus an „die Fähigkeit der Religionsgemeinschaft zur Zusammenarbeit mit dem Staat“ gebunden.

Die Verfassung schließt auch die im Ausland lebenden Ungarn ein und bezieht sich damit auf das historische Ungarn vor 1919. Die Auslandsungarn haben das Recht die ungarische Staatsbürgerschaft zu erwerben und das Wahlrecht zu erhalten. Kritiker sahen im Wahlrecht für die Auslandsungarn eine Bevorzugung dieser Gruppe, da sie, im Gegensatz zu den anderen Wählern, nicht einen ständigen Wohnsitz in Ungarn nachweisen müssen. An der Parlamentswahl 2014 nahmen knapp 130.000 Auslandsungarn teil, die zu 95 % für Orbans Partei Fidesz stimmten.

Bulgarien:

In Bulgarien sind die Konflikte zwischen der Exekutive und der Judikative nicht mit denen in Polen und Ungarn vergleichbar. Dies liegt vor allem an den vergleichsweise instabilen politischen Mehrheitsverhältnissen in Bulgarien seit dem Ende des Kommunismus. Daher verfügte keine der Regierungen über ausreichenden Rückhalt im Parlament, um die Rechte des Verfassungsgerichtes zu beschneiden oder die Verfassung zu ändern.

Aber auch in Bulgarien ist das Verhältnis zwischen Justiz und Politik problematisch. So gibt es immer wieder den Versuch vonseiten der Politik Gerichtsentscheidungen im eigenen Sinn zu beeinflussen.

So hat zum Beispiel der frühere bulgarische Wirtschaftsminister Owscharow versucht, Ermittlungen gegen einen Freund zu unterlaufen. Gegen den umstrittenen Medienoligarchen Peevski, der als einer der reichsten Männer Bulgariens gilt, weigerte sich der Generalstaatsanwalt Zazarow eine Untersuchung einzuleiten.  Dabei gibt Peevski dem Finanzamt nur ein sehr bescheidenes Vermögen an, sodass der Verdacht der Steuerhinterziehung naheliegt. Doch es ist in Bulgarien bekannt, dass Peevski großen Einfluss auf die Staatsanwaltschaft und die Steuerbehörden hat.

Die EU überprüft regelmäßig den Stand bei der Korruptionsbekämpfung und Unabhängigkeit der Justiz.  Die ehemaligen EU-Justizkommissarin Vera Jourová sprach sich 2019 dafür aus, weiter an einer Überwachung Bulgariens festhalten und das Land im Rahmen des so genannte Kooperations- und Verifizierungsmechanismus (CVM) überprüfen. Die Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Justiz ist in Bulgarien laut einer Eurobarometer- Umfrage 2019  die drittniedrigste in der EU. Die Menschen hätten einen großen Mangel an Vertrauen in die Justiz.

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Lage der Opposition und der nationalen Minderheiten

Die Situation der politischen Opposition sowie der Umgang mit Minderheiten sind wesentliche Merkmale für eine funktionsfähige Demokratie. Werden ihre politischen Rechte beschnitten, ist dies ein Hinweis für Defizite in der demokratischen Entwicklung eines Landes.

Polen:

Die Situation der politischen Opposition sowie der Umgang mit Minderheiten sind wesentliche Merkmale für eine funktionsfähige Demokratie. Werden ihre politischen Rechte beschnitten, ist dies ein Hinweis für Defizite in der demokratischen Entwicklung eines Landes.

Bereits durch den Wahlsieg der PiS m Herbst 2015 befand sich die parlamentarische Opposition in Polen in einer wesentlich schwächeren Lage als in früheren Legislaturperioden. Die PiS besaß nun in beiden Parlamentskammern, dem Sejm und dem Senat, eine Mehrheit. Im Mai 2015 hatte der PiS-Kandidat Duda bereits die Präsidentschaftswahl gewonnen. Damit  war es zum ersten Mal seit 1989 einer Partei in Polen gelungen, die Präsidentschaftswahl für sich zu entscheiden und zugleich eine absolute Mehrheit im Parlament zu erringen. Dadurch wurde auch eine wirksame Oppositionsarbeit schwieriger.

Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski machte durch seine Äußerung, dass Demonstranten Polen Oppositionelle „schlimmster Sorte“ seien, eine Missachtung der politischen Opposition deutlich. Die PiS propagiert einen Umbau des Staates, einen „guten Wandel“. Dabei stellt Kaczynski die Nation über demokratische Prozesse und die Verfassung: „Die Nation ist der Souverän, der in seinen Befugnissen nicht von den willkürlichen Elementen der Verfassung oder anderen Rechtsakten begrenzt werden kann, die meist auf den sogenannten Generalklauseln wie etwa: Polen ist ein Rechtsstaat, beruhen.“

Auch aus der Parlamentswahöl 2019 ging die nationalkonservative Regierungspartei PiS als klarer Sieger hervor, was die Arbeit der Opposition weiterhin erschwerte. Es bleibt abzuwarten, was sich bei der anstehenden Wahl im Herbst 2023 ergeben wird.

Im Vorfeld der Wahlen kam es im Juni 2023 zu Massendemonstrationen in Polen. Die Veranstalter sprachen von einer halben Million Teilnehmenden. Aufgerufen zu den Protesten hatte der frühere Regierungschef und Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform.. Auch andere Oppositionsparteien schlossen sich an. „Nein, die Demokratie wird in Polen nicht sterben. Es wird keine Ruhe einkehren. Wir werden laut schreien”, so Tusk sagte vor Demonstranten: Der Protest richtet sich auch gegen ein neues Gesetz, das die Einsetzung einer Untersuchungskommission zur russischen Einflussnahme vorsieht. Kritiker werfen der PiS vor, sie wolle mit diesem Gesetz wenige Monate vor der Parlamentswahl Oppositionspolitiker wie Tusk wegen angeblicher Russlandfreundlichkeit an den Pranger stellen. Die einzurichtende Kommission soll prüfen, ob Amtsträger in den Jahren 2007 bis 2022 unter dem Einfluss Russlands Entscheidungen getroffen haben, die Polens Sicherheit gefährden.

Was den Umgang mit Minderheiten in Polen anbelangt, stellte Kaczynski schon 2007 die Nation über die Rechte der Minderheiten: „Wir werden siegen, weil Polen diesen Sieg braucht. Es braucht ihn, damit in diesem Staat, in der Republik Polen, eine polnische Nation lebt und nicht verschiedene Nationen. Sodass die Republik eine Einheit sei.“
In den vergangenen Jahren haben sich PiS-Politiker mehrfach gegen zweisprachige Ortsschilder (in Polnisch und Deutsch) in der Region Oberschlesien, dem Zentrum der deutschen Minderheit, gewandt. Im Dezember 2012 hatte sich Kaczynski für eine Aufhebung der Sonderrechte der deutschen Minderheit ausgesprochen, wie die Befreiung von der 5-Prozent-Klausel bei Parlamentswahlen. In Polen haben sich bei der letzten Volkszählung 2011 noch 110.000 Menschen als Deutsche und weitere 800.000 als „Schlesier“ bezeichnet. Daneben gibt es noch kaschubische, ukrainische und weißrussische Minderheiten. Die Rhetorik der PiS-Politiker bedient gegenüber den Minderheiten nationalistische Vorurteile. Dabei stellen alle Minderheiten zusammen weniger als 5 Prozent der Bevölkerung in Polen.

Auch der Umgang mit sexuellen Minderheiten in Polen ist problematisch. Homophobie ist im streng katholischen Polen immer noch weit verbreitet. Eine Reihe von Gemeinden hat sich dort seit Anfang 2019 zu „LGBTI-freien“ Zonen erklärt. 2020 haben Botschafter aus 50 Staaten in einem gemeinsamen offenen Brief an Polen appelliert, die Rechte von Schwulen, Lesben und anderen sexuellen Minderheiten zu respektieren. Unterzeichnet wurde das Schreiben von den Botschaftern fast aller EU-Partnerländer sowie jenen der USA, Kanadas, Israels, Japans und anderer Staaten.

Ebenso ein Problem ist Polens Umgang mit Frauenrechten, so etwa die restriktive Gesetzgebung im Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche. Das Europäische Parlament verurteilt das unrechtmäßige Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das ein De-facto-Abtreibungsverbot verhängt hat.

Ungarn:

Der Wahlsieg der Fidesz unter Führung Viktor Orbans war zugleich mit einer schweren Krise der bis dahin stärksten Partei, den Sozialisten, verbunden. Aufgrund der Zwei Drittel Mehrheit der Fidesz  war die parlamentarische Opposition in den Jahren 2010 bis 2014 sehr schwach. Orban nutzte diesen Umstand, um seine Macht zielstrebig auszubauen. Dabei ging erdurchaus geschickt vor, indem er die Möglichkeiten der Opposition auf juristischem Wege beschränkte, ohne dabei aber die Oppositionsparteien direkt anzugreifen. Die Erhebung vieler von Orban erlassener Gesetze in den Verfassungsrang hat die Gestaltungsmöglichkeiten jeder zukünftigen Regierung stark beschränkt. 

Bei den Wahlen 2014 konnte sich Fidesz nur durch die Koalition mit den Christdemokraten erneut eine Zwei Drittel Mehrheit im Parlament sichern. Den Sozialdemokraten war es  trotz des Zusammenschlusses mit drei kleineren Oppositionsparteien nicht gelungen, mehr als ein Viertel der Stimmen zu gewinnen. Deutlich gewinnen konnte dagegen die rechtsradikale Partei „Jobbik“.  Jobbik ist aber nur eingeschränkt Opposition gegen Orban, da sie in wichtigen Abstimmungen oftmals mit der Regierung stimmt.

Bei der Parlamentswahl 2018 erlangte die national-konservative Fidesz Partei in Koalition mit der KDNP 48,8% der Stimmen und damit 133 der 199 Sitze im Parlament. Der amtierende Ministerpräsident Victor Orbán konnte also seine dritte Amtszeit in Folge antreten. Der Opposition und kritischen Medien drohte Orbán im Wahlkampf: "Wir sind sanfte und freundliche Menschen, aber wir sind weder blind noch tölpelhaft. Nach der Wahl werden wir uns natürlich Genugtuung verschaffen – moralische, politische und auch juristische Genugtuung."

In den vergangenen Jahren haben sich die Proteste gegen die Politik der Fidesz verstärkt. Dabei kommt der außerparlamentarischen Opposition eine besondere Rolle zu. So kam es zu verschiedenen Großdemonstrationen gegen die Regierung. Angesichts der Schwäche und Zerstrittenheit der Opposition sehen offenbar viele Bürger den Protest auf der Straße als das wirksamste Mittel, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu geben. So gab es Proteste mit über zehntausend Teilnehmern gegen eine von der Regierung Orban geplante Internetsteuer.  Allerdings konzentrieren sich die Proteste überwiegend auf die Hauptstadt Budapest und einige andere Städte, in denen es eine kritische links-liberale Szene gibt. 

Auffallend wenig Proteste gab es gegen die restriktive Flüchtlingspolitik der Regierung Orban. In diesem Punkt scheint ein großer Teil der ungarischen Bevölkerung hinter der Regierung zu stehen oder eine neutrale Haltung einzunehmen. Vermutlich dürfte dabei auch das historisch belastete Verhältnis der Ungarn zum Islam (Eroberung Südungarns durch die Türken) eine Rolle spielen, die zur ablehnenden Haltung bei der Aufnahme muslimischer Flüchtlinge führt.

Minderheiten

Was den Umgang mit sexuellen Minderheiten anbelangt, schränkt die Orban-Regierung zunehmend Rechte ein und stempelt Homosexualität als Feindbild ab. Homo- und Transsexualität sollen per Gesetz aus der Öffentlichkeit verschwinden. Im Juni 2021  wurde ein neues Anti-LGBT-Gesetzes erlassen. Es sieht vor, dass Homosexualität nicht mehr „propagiert“ wird. Das heißt, dass im Zweifel jede Art von Information über Homosexualität nur unter Volljährigen verbreitet werden darf. Betroffen ist Aufklärungsunterricht an Schulen, aber auch Filme und Bücher mit schwulen Charakteren und Werbung, wenn diese sich an Minderjährige richtet.

Die EU-Kommission prüft nun, ob das gegen EU-Recht verstößt. Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist "sehr besorgt über das neue Gesetz in Ungarn", Man prüfe, ob EU-Recht verletzt werde. "Ich glaube an ein Europa, das sich auf Diversität einlässt, nicht an eines, dass sie von unseren Kindern verbirgt. Niemand sollte auf Grundlage der sexuellen Orientierung diskriminiert werden."

13 EU-Staaten forderten, den Verstoß gegen die EU-Grundrechtecharta zu ahnden und die Einhaltung europäischer Gesetze sicherzustellen. Die EU- Kommission müsse  als "Hüterin der Verträge" alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Dazu gehöre auch, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen. Auf dem EU-Gipfel wurde Ungarn scharf kritisiert, die EU-Staatschefs konnten sich jedoch nicht auf ein  gemeinsames Vorgehen gegen  Ungarn einigen. Auch ein Rauswurf Ungarns aus der EU kam zur Sprache. Ein Land aus der EU zu werfen ist jedoch so nicht möglich, in den EU-Verträgen ist dies nicht vorgesehen.Ungarns Präsident Orban zeigte sich indes unbeeindruckt, er möchte das Gesetz nicht zurücknehmen,

Im Juli 2021 hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wie auch Polen eingeleitet. Dies ist nicht das erste Verfahren gegen die beiden Länder. Europa werde niemals zulassen, dass Teile der Gesellschaft stigmatisiert würden, erklärte Kommissionschefin von der Leyen. Polen und Ungarn haben nun zwei Monate Zeit, zu reagieren. Andernfalls kann die Kommission das Verfahren bis vor den Europischen Gerichtshof bringen.

Ungarn hat mit seinem neuen Anti-Homosexuellen-Gesetz die russische Rechtsprechung kopiert. Es ähnelt sehr genau der Rechtslage in Russland.

Kaum Konflikte gibt es mit nationalen Minderheiten, die in Ungarn nur etwa 6 % der Bevölkerung stellen. Eine Ausnahme bilden die Roma, die im Fokus der nationalistischen Rhetorik von Fidesz und Jobbik Politikern stehen. Die Roma gelten in Ungarn als schwer integrierbare Minderheit und die Kürzung sozialer Leistungen durch die Orban Regierung richtet sich indirekt besonders gegen die Roma, die einen überdurchschnittlichen Anteil bei den Empfängern sozialer Hilfen stellen. So sprach ein ungarischer Minister von „nicht förderungswürdigen Familien“, womit implizit Roma gemeint waren. Die Arbeitslosigkeit  und der Anteil Geringqualifizierter unter den Roma ist weit höher als im Bevölkerungsdurchschnitt.

Obwohl es kaum Juden in Ungarn gibt, findet man in der ungarischen Gesellschaft nicht selten antisemitische Einstellungen. Diese werden vor allem von der Partei „Jobbik“ bedient. Im April 2010 wurde von der Regierung Orban ein Gesetz beschlossen, das die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt.

Bulgarien:

Seit dem Ende des kommunistischen Systems ist es in Bulgarien keiner Partei gelungen eine ähnlich dominierende Stellung zu erlangen, wie sie aktuell Fidesz in Ungarn und die PiS in Polen haben. Doch die Schwäche der bulgarischen Parteien könnte in Zukunft Kräften den Weg bereiten, die dem demokratischen System ablehnend gegenüberstehen.

Die bulgarische Nationalitätenpolitik ist vor allem durch die Beziehungen zu den Türken, der größten ethnischen Minderheit des Landes, gekennzeichnet. Die türkische Minderheit war in der kommunistischen Zeit einer Politik der „Zwangsbulgarisierung“ ausgesetzt. So wurden viele Türken gezwungen bulgarische Namen anzunehmen. Mit dem Übergang zur Demokratie organisierte sich die türkische Minderheit und demonstrierte für die Aufhebung der Gesetze zur „Zwangsbulgarisierung“. Im Dezember 1989 kam die Regierung den Forderungen nach und hob die Gesetze auf.

Unter ihrem Führer Ahmed Dogan verfolgten die bulgarischen Türken lange Jahre einen sehr pragmatischen Kurs. Dogan und seine Partei DPS waren mehrfach in Korruptionsskandale verwickelt, aber trotzdem an mehreren Regierungen beteiligt. Einzelne ihrer Forderungen wie die Einführung des Türkischen an Schulen in überwiegend von Türken besiedelten Regionen, stießen allerdings auf großen Widerstand, da viele Bulgaren eine Privilegierung des Türkischen befürchteten.  Insgesamt hat sich aber die Situation der türkischen Minderheit in den letzten fünfundzwanzig Jahren deutlich verbessert. Es gibt keine grundsätzliche Diskriminierung und Ausgrenzung der Türken durch den bulgarischen Staat.

Durch die Flüchtlingsströme, die seit dem Sommer 2015 versuchen durch die Balkanländer nach Westeuropa zu gelangen, ist die historisch bedingte Abwehrhaltung vieler Bulgaren gegenüber Muslimen wieder stärker geworden. Bulgarien befand sich über 400 Jahre unter türkisch-osmanischer Herrschaft. Bulgarien ist zwar weit weniger als Griechenland oder Mazedonien von der Flüchtlingsbewegung betroffen, doch in den südlichen Regionen des Landes haben sich einige Bürgerwehren gegründet, die Flüchtlinge am Grenzübertritt nach Bulgarien hindern wollen.

Die Situation der Roma ist in Bulgarien ähnlich problematisch wie in Ungarn. Es gibt eine deutliche Benachteiligung der Roma im Bildungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt. Die Roma sind, anders als die bulgarischen Türken, auch kaum politisch organisiert. Ihr Einfluss in der Gesellschaft, und somit auch die Möglichkeit ihre Lage zu verbessern, ist gering.

Literatur

„Die Medien in Osteuropa. Mediensysteme im Transformationsprozess.“ Stegherr, Marc.  Wiesbaden, 2012.

„Die Ungarn“. Lendvai, Paul. München, 2001.

„Gegen die Wand. Konservative Revolution in Polen“  Osteuropa, 1/2, 2016. Berlin, 2016.

„Im Herzen Europas. Geschichte Polens“ Davies, Norman. München, 2006

„Kleines Handbuch Bulgarien. Politik, Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft.“  Schmitt, Robert. 2012.

„Länderbericht Polen. Geschichte – Politik – Wirtschaft – Gesellschaft – Kultur“ Bingen, Dieter (Hrsg.),  Frankfurt, 2009

„Schieflage: Macht und Recht in Ungarn und Russland“. Osteuropa, 4, 2013. Berlin, 2013.

„Schöne Grüße aus dem Orban Land. Die rechte Revolution in Ungarn“ Adrowitzer, Roland; Gelegs, Ernst. Wien, 2013

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