Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn


Informationen zum EU-Rechtsstaatsmechanismus und zum Artikel-7-Verfahren.


Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn sind in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Regierung versucht, Presse und Justiz unter ihre direkte Kontrolle zu bringen und deren Unabhängigkeit auszuhöhlen. Damit wird die Gewaltenteilung und das Gleichgewicht der Kräfte im Staat bedroht.

Aufgrund der zunehmenden Gefährdung rechtsstaatlicher Prinzipien in einigen EU-Staaten hat die EU jüngst schärfere Mechanismen zur Überprüfung und Ahndung von Verstößen in die Wege geleitet. Laut EU-Verträgen stehen die Mitgliedstaaten in der Pflicht, für die Unabhängigkeit der Justiz und eine freie Presse in ihren Ländern zu sorgen. Ebenso misst sich der Rechtsstaat auch am Umgang mit Minderheiten sowie dem Vorhandensein einer funktionsfähigen politischen Opposition.

So hat sich das EU-Parlament mit dem Rat im Dezember 2020 auf einen neuen  „Mechanismus zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit” geeinigt, der es der EU zukünftig erlauben soll, Zahlungen an Mitgliedstaaten auszusetzen, wenn diese gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben.  Der ebenfalls Ende 2020 neu eingeführte Bericht über die Rechtsstaatlichkeit soll mit jährlichen Berichten dazu beitragen, dass zukünftig maßgebliche  Entwicklungen auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten regelmäßig beobachtet werden.

Da die Klagen der EU gegen Polen und Ungarn bislang kaum Konsequenzen nach sich zogen, verstärkte das Europäische Parlament im März 2021 noch den Druck auf die Europäische Kommission und stellte ihr ein Ultimatum: Bis im Sommer müsse die Europäische Kommission auf die Rechtsstaatlichkeitsverletzungen reagieren und Konsequenzen ziehen. Polen und Ungarn hatten eine vorherige Prüfung des neuen Rechtsstaatsmechanismus vor dem Europäischen Gerichtshof verlangt, was erfahrungsgemäß längere Zeit in Anspruch nimmt. Im Juni 2021 hat das Europäische Parlament ein Verfahren für eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission eingeleitet. Mit dem Schritt will es die Brüsseler Behörde dazu bringen, Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit unverzüglich zu ahnden.

Aufgrund der fortwährenden Verstöße Polens und Ungarns gegen die Rechtsstaatlichkeit hat die EU-Kommission  im November 2021  nun Vorbereitungen getroffen, den neuen Rechtsstaatsmechanismus erstmalig einzusetzen. Ein entsprechender Brief ging an die beiden Länder, der sämtliche Missstände und Mängel bei Rechtsstaatlichkeit, Budgetkontrolle und Korruptionsbekämpfung aufzählt. Der Rechtsstaatsmechanismus erlaubt Brüssel, Fördergelder für Polen und Ungarn dann auch tatsächlich zu kürzen. Ferner hält die EU bereits seit Monaten milliardenschwere Auszahlungen aus dem Corona-Hilfspaket zurück.

Im Februar 2022 erging das Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Der Rechtsstaatsmechanismus ist rechtens, die von Polen und Ungarn eingereichte Klage wurde abgwiesen. Mit dem Urteil des EuGH ist nun klar: Die EU-Kommission kann den Rechtsstaatsmechanismus einsetzen und gegen Rechtsstaatsverletzungen von EU-Mitgliedern vorgehen, indem sie ihnen Gelder kürzt bzw. die Auszahlung zurückhält.

Für einen Skandal sorgten im Juli 2021 auch die Enthüllungen über die Ausspähung ungarischer Journalisten mittels der Software „Pegasus“". Ein Journalistenkonsortium aus mehreren Ländern hat den Skandal aufgedeckt. Politiker und Verbände weltweit üben scharfe Kritik und fordern Aufklärung. Insbesondere in Händen von autoritätren Staaten bzw. Ländern, in denen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie untergraben werden, kann Pegasus eine gefährliche Cyberwaffe sein.

Seit Jahren schwelt also schon der Streit zwischen der EU-Kommission über das Verständnis und die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien sowie die aufgrunddessen zurückgehaltenen Auszahlungen von EU-Geldern an das Land. Ebenso wie Polen kommt Ungarn derzeit nicht an die dem Land zustehenden Mittel aus den EU-Töpfen heran. Die EU hält sowohl die  5,8 Milliarden Euro an Zuschüssen und zinsgünstigen Krediten aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zurück als auch die Gelder aus  dem Kohäsionsfonds, aus denen die Annäherung der Lebensverhältnisse in den Mitgliedstaaten finanziert wird. Hier stehen Ungarn in der laufenden Finanzperiode bis 2027 7,5 Milliarden Euro zu. Im November 2022 hat die EU-Kommission sich dafür ausgesprochen, die zurückgehaltenen Milliardenzahlungen an Ungarn noch länger einzufrieren, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mitteilte. Man werde den Corona-Aufbauplan grundsätzlich zwar genehmigen, damit die Gelder zum Jahresende nicht verfielen, ausgezahlt würden sie aber erst, wenn Ungarn die geforderten Reformen umsetzen werde. Auch die Mittel aus dem Kohäsionsfonds werde die EU so lange zurückzuhalten, bis Reformfortschritte sichtbar seien. Die Empfehlung der EU-Kommission muss vom EU-Ministerrat mit einer qualifizierten Mehrheit von mindestens 15 der 27 EU-Staaten noch angenommen werden, bevor sie zum Tragen kommen kann. Ungarns Regierung hat der EU indessen eine Reihe von Reformen in Aussicht gestellt, um eine Kürzung von EU-Mitteln zu umgehen. Die EU-Kommission hat jedoch klargestellt, dass die Auszahlung der Mittel an die 17 vereinbarten Verbesserungen zur Rechtsstaatlichkeit gebunden sei. Bei nur partieller Erfüllung der Bedingungen, werde es keine partielle Auszahlung geben.

Im Dezember 2022 hat die EU nun doch der Auszahlung Auszahlung eines kleinen Anteils zugestimmt. Da die Regierung Orban den 17-Punkte-Plan gegen Korruption und mehr Rechtsstaatlichkeit vorgelegt habe, habe die EU dem Land nun 1,2 Milliarden zur Auszahlung freigegeben, zeigte sich Ministerpräsident Orban erfreut über die Brüsseler Entscheidung. Da die 17 Punkte bislang jedoch nur Absichtserklärungen sind, bleiben die restlichen 6,3 der ursprünglich 7,5 Milliarden Euro erst einmal weiter eingefroren. Und De facto sind die freigegebenen Milliarden Euro wohl als Preis für die Zustimmung Orbans zur geplanten europäischen Mindestkörperschaftssteuer zu betrachten, die Orban bislang blockiert hat.

Auch in der jüngsten Blockade-Haltung wittern EU-Diplomaten das Kalkül, die von der Kommission vorenthaltenen Gelder weiter freizupressen. Orbán droht der Europäischen Union im Dezember 2023 gleich mit zwei Vetos: Zum einen will er beim nächsten Gipfel gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine stimmen, zum anderen blockiert er die Freigabe eines 50-Milliarden-Euro-Hilfspakets für die Ukraine,

 


In folgender Analyse betrachten wir die Situation in Ungarn. Zur Lage von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Russland, Belarus,Polen, Rumänien undBulgarien haben wir jeweils eine gesonderte Analyse erstellt.


 

Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Die Anfänge

Ungarn war von der frühen Neuzeit bis 1918 Teil der österreichischen Habsburgermonarchie. 1867 hatte Ungarn eine sehr weitgehende Autonomie erhalten. Die Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg bedeutete den Sturz der Habsburgermonarchie und die Entstehung eines unabhängigen ungarischen Staates.

Allerdings musste Ungarn zwei Drittel seiner Gebiete, die es bis 1918 kontrolliert hatte, im Vertrag von Trianon an die Nachbarstaaten Rumänien, Jugoslawien, Tschechoslowakei und Österreich abtreten. Der sehr harte Vertrag von Trianon wurde zu einem Trauma für Ungarn, das den neu geschaffenen Staat von Anfang belastete und zur Stärkung revanchistischer und autoritärer Tendenzen führte. 1920 ergriff Admiral Horthy, ehemals Offizier in der Flotte des Habsburgerreiches, die Macht. Er regierte Ungarn bis 1944 autoritär. Die politische Opposition wurde unterdrückt. Die Pressefreiheit war eingeschränkt. Horthy vertrat völkisch-nationalistische Ideen, die die Besonderheit des Ungarntums betonten. Vor allem die Revision des Vertrags von Trianon wurde zum erklärten Ziel von Horthy.
Ab ca. 1935 näherte sich Ungarn zunehmend dem nationalsozialistischen Deutschland an. Schließlich wurde Ungarn Verbündeter Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Allerdings hatte die Diktatur unter Horthy eher konservativen Charakter und war nicht so radikal wie die totalitäre Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten. 1945 eroberte die Rote Armee Ungarn. Horthy war bereits im Herbst 1944 von den Deutschen abgesetzt worden. Auch Ungarn geriet nun in den Einflussbereich der Sowjetunion.

Betrachtet man die Entwicklung in Ungarn sowie auch in Polen seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, so fällt auf, dass sie nicht in der Lage waren, stabile demokratische Verhältnisse aufzubauen. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde Ungarn schließlich autoritär regiert. Presse- und Meinungsfreiheit waren seit 1918 nie wirklich garantiert und die Unterdrückung der politischen Opposition begann schon in den zwanziger Jahren.

In Ungarn wurde diese Entwicklung vor allem durch die aufgrund der Gebietsverluste nach dem Ersten Weltkrieg starken revanchistischen Strömungen begünstigt. Auch ein starker Antisemitismus war erkennbar. Zugleich standen die Kirchen ganz überwiegend an der Seite der nationalistischen Kräfte.

Die autoritären Strukturen der Zwischenkriegszeit könnten auch eine Erklärung dafür sein, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sowohl in Ungarn als auch in Polen und Bulgarien relativ schnell kommunistische Systeme etabliert werden konnten (und demokratische Defizite bis heute fortbestehen). Es gab keine Bürgergesellschaft, die hätte ernsthaften Widerstand leisten können.

Die kommunistische Zeit

Bei der Errichtung des kommunistischen Herrschaftssystems leistete die stalinistische Führung der Sowjetunion aktive Hilfestellung. In Ungarn, Polen und Bulgarien etablierte sich unter dem Druck Moskaus die kommunistische Partei als alleinige Führungsmacht. Die bürgerlichen Parteien wurden nach einer kurzen Übergangsphase verboten. Die sozialdemokratischen Parteien wurden zunehmend an den Rand gedrängt und danach zur Vereinigung mit den kommunistischen Parteien gezwungen. Die Unzufriedenheit mit dem sehr repressiven stalinistischen Herrschaftssystem war jedoch groß. In Ungarn kam es 1956 unter Ministerpräsident Imre Nagy zu einer Auflehnung gegen die Politik der Sowjetunion und der Forderung nach Einführung der parlamentarischen Demokratie und der außenpolitischen Neutralität. Sowjetische Truppen rückten ein und es kam zu Kämpfen mit ungarischen Aufständischen. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, Ministerpräsident Nagy zum Rücktritt gezwungen und später hingerichtet.

Unter dem Nachfolger Nagys, Janos Kadar, kam es nach einer kurzen Phase der Repression, zur Einführung des sogenannten „Gulasch Kommunismus“. Das ungarische System war liberaler als in den anderen Ostblockstaaten und es gab mehr wirtschaftliche Freiheiten.

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Zeitenwende: Das Ende des kommunistischen Systems

In Ungarn trat 1988 Janos Kadar, der seit 1956 als Generalsekretär der kommunistischen Partei die Kontrolle über das Land ausgeübt hatte, von seinem Amt zurück. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeigten sich Auflösungserscheinungen in der kommunistischen Partei und im Oktober 1989 beendete eine neue Verfassung das kommunistische System. Das Jahr 1989 markierte für Polen wie auch für die umliegenden Länder Osteuropas einen tiefen Einschnitt. 1990 kam es zu freien Wahlen, bei denen der christlich-konservative Politiker Jozsef Antall zum Ministerpräsidenten gewählt wurde.

Ungarn und Polen teilen eine gemeinsame kommunistische Vergangenheit, doch es zeigte sich, dass insbesondere in Ungarn, aber auch in Polen, der Kommunismus nach dem Tod Stalins weniger diktatorische Formen als in den übrigen Staaten des Warschauer Paktes annahm. Dies ist zum einen auf die Aufstände gegen das spätstalinistische System zurückzuführen, zum anderen haben Ungarn und Polen traditionell stärkere Beziehungen zu Westeuropa.

Schwieriger Weg in die Demokratie - Erstarkender Nationalismus

In Ungarn konnte, ähnlich wie in Polen, mit dem Ende des Kommunismus eine oppositionelle Partei die Wahlen gewinnen. Das konservative ungarisch-demokratische Forum regierte bis 1994, um danach von den Sozialisten (die Nachfolgepartei der Kommunisten) abgelöst zu werden. 1998 wurde erstmals Viktor Orban, Vorsitzender der Partei „Fidesz“ (Ungarischer Bürgerbund), ungarischer Ministerpräsident. Unter Orban begann die Wandlung von Fidesz von einer liberalen zu einer nationalkonservativen Partei. 2002 verlor Orban überraschend die Parlamentswahlen gegen die Sozialisten. Die Sozialisten blieben bis 2010 an der Macht. Doch umfangreiche Korruptionsskandale, eine neoliberale Politik und der Abbau sozialer Leistungen schwächten die sozialistische Partei. Zudem musste Ministerpräsident Gyurcsany einräumen, dass er die Öffentlichkeit vor den Wahlen 2006 mehrfach bewusst belogen hatte.

Demgegenüber gelang es Viktor Orban, sich im Wahlkampf des Jahres 2010 als Vertreter ungarischer nationaler Interessen zu präsentieren. Seine Fidesz erlangte einen erdrutschartigen Sieg und stellte nun, zusammen mit der Christlich-Demokratischen Volkspartei, die Regierung. Während Orban in der Innen- und Gesellschaftspolitik konservativ-christliche Positionen vertritt, befürwortet er in der Wirtschaftspolitik zum Teil staatliche Eingriffe. 2010 verstaatlichte Orban die private Säule des ungarischen Rentenversicherungssystems und senkte für Arbeitnehmer und Unternehmer die Steuern. Später beschloss Orban, gegen den Widerstand der Wirtschaft, eine Bankenabgabe. Aufgrund seiner Menschenrechtspolitik und Eingriffen in die Judikative und die Pressefreiheit gerät Orban seither fortlaufend in Konflikt mit der EU.

Auffallend ist, dass die bürgerlichen Parteien, die in der Wendezeit in den Ostblockstaaten die Opposition gegen die Kommunisten angeführt haben, sich seitdem entweder aufgelöst oder vollkommen an Bedeutung verloren haben. Stattdessen wird die Politik in Polen und Ungarn jetzt von national-populistischen europakritischen Parteien dominiert.

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Pressefreiheit

In seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident in den Jahren 1998 bis 2002 griff Viktor Orban, ähnlich wie die anderen demokratischen Regierungen seit 1990, wenig in die Pressefreiheit ein. Zu dieser Zeit befand sich Orban auf einem eher proeuropäischen Kurs. Er hatte kein Interesse an Konflikten mit der EU über den Zustand der Pressefreiheit in Ungarn, zumal Ungarn zu diesem Zeitpunkt nur Anwärter auf eine Mitgliedschaft in der EU war. Somit unterschied sich Orbans Medienpolitik kaum von der nachfolgenden Koalition unter Führung der sozialistischen Partei.

Bis 2010 demonstrierten die staatlichen Medien bewusst ihre Unabhängigkeit von der Regierung. So erschien 2006 im öffentlich-rechtlichen Radio eine heimlich mitgeschnittene Tonbandaufnahme des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany. Darin sagte er, dass seine Partei „Tag und Nacht gelogen hat“, um den Wahlsieg seiner Partei zu sichern. In der Folge kam es zu Massenprotesten und die Sozialisten verloren massiv an Vertrauen. Dies begünstigte den Wahlsieg Orbans im Jahr 2010. Diesmal ging Orban viel entschiedener daran, die Medienlandschaft Ungarns umzugestalten, als in seiner ersten Amtszeit.

Bereits 2010 beschloss die Regierung ein Gesetz, das es den Behörden erlaubt, Medien zu kontrollieren und zu bestrafen. Die Zweidrittelmehrheit der Regierung im Parlament machte die Verabschiedung des repressiven Mediengesetzes möglich. Zugleich begannen Behörden und staatliche Unternehmen damit, keine Anzeigen mehr in kritischen Medien zu veröffentlichen. Zudem werden kritische Sender, wie das oppositionelle „Klubradio“, in Ungarn bei der Vergabe von Frequenzen benachteiligt.

Die drei Fernsehsender M1, M2 und Duna-TV wurden zusammengelegt und mit drei überregionalen Radiosendern zu MTV A mit einer gemeinsamen „Superredaktion“ vereinigt. Die Chefredakteure sind nun Fidesz Gefolgsleute. Bei kritischen Berichten ausländischer Korrespondenten über die ungarische Regierung interveniert diese mitunter auch direkt bei den jeweiligen Auslandssendern, zum Beispiel beim ORF (Österreichischer Rundfunk).

Im Jahr 2014 musste der Chef des größten ungarischen Nachrichtenportals „origio.hu“ auf Druck der Regierung seinen Posten räumen. Bemerkenswert dabei ist, dass origo.hu der Firma Magyar Telekom gehört, die eine Tochter der Deutschen Telekom ist. Die Telekom erklärte die Entscheidung mit „internen Umstrukturierungen, auf die die Deutsche Telekom zu keinem Zeitpunkt Einfluss genommen habe“.

Die Kritik an der ungarischen Pressepolitik in der EU wurde stärker. Während anfangs vor allem Kritik von führenden Sozialdemokraten kam, warnte schließlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Als künftiges EU-Vorsitzland trägt Ungarn eine besondere Verantwortung für das Bild der gesamten EU in der Welt.“ Der tschechische Außenminister Schwarzenberg kritisierte das ungarische Mediengesetz als „gefährlich“ und der Vorsitzende der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, spottete: „Die Zeit der Prawda ist vorbei“.

Zusammenfassend lässt sich festhalten; seit Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei 2010 an die Regierung kamen, haben sie Ungarns Medienlandschaft Schritt für Schritt unter ihre Kontrolle gebracht. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender wurden in der staatlichen Medienholding MTVA zentralisiert. Die regionale Presse ist seit dem Sommer 2017 vollständig im Besitz Orban-freundlicher Unternehmer. Im Herbst 2018 wurden fast 500 regierungsnahe Medienunternehmen in einer Holding zusammengefasst, um ihre Berichterstattung zentral zu koordinieren. Wichtige kritische Medien wie die überregionalen Zeitungen wurden eingestellt. Regierungskritische und investigative Berichte finden über Online-Portale nur noch geringe Verbreitung.

Im Februar 2021 ging nun auch noch der letzte unabhängige Radiosender vom Netz. Die Hoffnungen ruhen nun auf der EU. Die bestehenden Vorschriften des Artikels 7 des EU-Vertrages sehen bei Vertragsverletzungen den Entzug von Fördergeldern vor. Bislang gingen jedoch alle Versuche, den Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen auf diese Weise zu sanktionieren, ins Leere.

Pegasus-Skandal

Für einen Skandal sorgen weiterhin die Enthüllungen über die Ausspähungen ungarischer Journalist:innen mittels der Software „Pegasus“. Die Spionagesoftware, mit der Geheimdienste weltweit Jagd auf Terroristen machen, werden offenbar auch von einigen Staaten und Geheimdiensten genutzt, um Journalist:innen, Politiker:innen und Menschenrechtsaktivist:innen zu beobachten und auszuspähen. Die Pariser Non-Profit-Redaktion Forbidden Stories und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bekamen Zugang zu den sensiblen Daten und teilten ihn mit einem internationalen Journalistenkonsortium. Sie entdeckten auch Telefonnummern ungarischer Journalisten auf einer Liste mit Ausspähzielen; ebenfalls die Kontakte einiger mutmaßlicher Krimineller, aber auch die von hochrangigen Medienmanagern, Rechtsanwälten oder Oppositionspolitikern. Die ungarische Regierung gab an, nichts über die Datensammlung zu wissen. Die ungarische Opposition sieht das anders und kritisiert die Fidezs-Partei unter Orban scharf. „Meiner Meinung nach ist das ein Dolchstoß in den Rücken der Pressefreiheit und der Demokratie“, sagt Ana Orosz von der Momentum-Bewegung.

Auch die EU äußerte scharfe Kritik. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen forderte eine Überprüfung der Enthüllungen über die weltweite Ausspähung von Journalisten, Aktivisten und Oppositionellen. „Wenn es stimmt, dann ist es komplett inakzeptabel”, sagte von der Leyen. Das Ausmaß ist größer als gedacht, insgesamt geht es offenbar um eine Größenordnung von 50.000 Telefonnummern aus einer ganzen Reihe von Ländern, darunter Journalisten, Vertreter von Regierung und Opposition, Menschenrechtsaktivisten. Offenbar sollen auch eine ganze Reihe an Staatschefs ausgespäht worden sein, darunter  auch der französische Präsident Emmanuel Macron.

Die Software Pegasus infiltriert Smartphones, späht persönliche Daten aus und kann auch Kamera und Mikrofon des Handys aktivieren. Im Fall von Journalisten kann so die Kommunikation mit Quellen verfolgt werden. Nahezu jedes Mobiltelefon weltweit lässt sich hacken. Pegasus kann heimlich auf Handys installiert werden, ohne dass der Besitzer etwas davon ahnt, auch aus der Ferne. Politiker und Verbände üben scharfe Kritik und fordern Aufklärung. Insbesondere in Händen von autoritären Staaten bzw. Ländern, in denen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie untergraben werden, kann Pegasus eine gefährliche Cyberwaffe sein. Neben Ungarn gehören laut den veröffentlichten Recherchen auch Aserbaidschan, Bahrain, Indien, Kasachstan, Mexiko, Marokko, Ruanda, Saudi-Arabien, Togo und die Vereinigten Arabischen Emiraten zu jenen Staaten, die Ausspähungen veranlasst haben sollen .

Ausführliche Informationen über den Pegasus-Skandal auf dem Portal Netzpolitik

Auf der Rangliste für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Ungarn in den vergangenen Jahren immer weiter nach unten gerückt. Auf der Rangliste 2021 ist das Land mittlerweile auf Platz 92.angelangt. Zum Vergleich: Deutschland liegt auf Platz 13.

Reporter ohne Grenzen führt auch eine Liste der „Feinde der Pressefreiheit”, in der sie jene Personen aufführt, die drastisch die Pressefreiheit unterdrücken. Seit Juli 2021 wurde Ungarns Ministerpräsident Orban nun ebenfalls  auf die Liste gesetzt –  als erster Regierungschef aus der Europäischen Union. Die Liste umfasst derzeit 37 Staatsoberhäupter und Regierungschefs.

 

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Justiz und Verfassung

Der Judikative kommt neben Exekutive und Legislative in der Demokratie eine besondere Bedeutung zu. Daher sind Eingriffe in die Judikative auch besonders problematisch. In autoritären Staaten ist die Judikative nicht unabhängig vom Staat und der politischen Macht.

Es gibt durchaus Parallelen zwischen der Politik der ungarischen und der polnischen Regierung in Bezug auf Verfassung und Justiz. Allerdings ist die ungarische Regierung bereits seit 2010 im Amt. So sind die Änderungen in Ungarn weitreichender.

Das ungarische Verfassungsgericht, das im Wendejahr 1990 nach deutschem Vorbild eingerichtet wurde, hatte ursprünglich eine sehr starke Stellung. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass das ungarische Parlament nur aus einer Kammer besteht. Mit der Bestimmung, dass nur die Regierungsfraktion und nicht mehr ein paritätisch besetzter Parlamentsausschuss die Verfassungsrichter vorschlagen kann, hatte Orbans Partei Fidesz angesichts ihrer Mehrheit im Parlament die Kontrolle über die Ernennung der Verfassungsrichter gewonnen. Zugleich ließ Orban die Zahl der Verfassungsrichter von elf auf fünfzehn erhöhen, wodurch gleich mehrere neue, Orbans Politik nahestehende, Richter ins Verfassungsgericht berufen wurden.

In den Jahren 2011 und 2012 kippten die Verfassungsrichter trotzdem mehrere von der Regierung Orban beschlossene Gesetze, zum Beispiel Teile der Wahlrechtsreform. Daraufhin ließ Viktor Orban die vom Verfassungsgericht verhinderten Gesetze mit Hilfe seiner Zzweid Drittelm Mehrheit im Parlament in den Verfassungsrang erheben. Dadurch können diese Gesetze nicht mehr vom Verfassungsgericht gestoppt werden. Als Reaktion auf dieses Vorgehen griff EU-Justizkommissarin Viviane Reding die Regierung Orban scharf an und drohte mit dem Entzug des Stimmrechts für Ungarn in der EU. Da es in der EU keine Einigung darüber gibt, wie mit Ungarn zu verfahren ist, blieb die Drohung Redings letztendlich ohne Folgen.

Nach dem Ende des Kommunismus galt in Ungarn noch die alte, kommunistische Verfassung aus dem Jahr 1949. Nur eine Verfassungsänderung aus dem Jahre 1989 definierte Ungarn als Rechtsstaat und parlamentarische Demokratie. Bereits 2011 kritisierte Orban, dass Ungarn ein neues Grundgesetz brauche, da die alte Verfassung sich zu stark am sowjetischen Vorbild orientiere. Noch im selben Jahr verabschiedete die Fidesz- Fraktion im Parlament ein neues Grundgesetz, das zum 1. Januar 1.2012 in Kraft trat.

Die neue Verfassung ist stark vom nationalen Gedanken geprägt. Ungarn soll auf Basis seiner ethnischen und historischen Zugehörigkeit geeint werden. Problematisch ist diese Definition in Bezug auf Minderheiten wie die Roma. Außerdem wird der christlichen Religion eine Vorrangstellung eingeräumt. Kritiker sehen darin eine Verletzung der religiös-grundanschaulichen Neutralität. Die freie Religionsausübung ist weiter garantiert. Allerdings wird die Gewährung des Kirchenstatus an „die Fähigkeit der Religionsgemeinschaft zur Zusammenarbeit mit dem Staat“ gebunden.

Die Verfassung schließt auch die im Ausland lebenden Ungarn ein und bezieht sich damit auf das historische Ungarn vor 1919. Die Auslandsungarn haben das Recht die ungarische Staatsbürgerschaft zu erwerben und das Wahlrecht zu erhalten. Kritiker sahen im Wahlrecht für die Auslandsungarn eine Bevorzugung dieser Gruppe, da sie, im Gegensatz zu den anderen Wählern, nicht einen ständigen Wohnsitz in Ungarn nachweisen müssen. An der Parlamentswahl 2014 nahmen knapp 130.000 Auslandsungarn teil, die zu 95 Prozent5 % für Orbans Partei Fidesz stimmten.

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Lage der Opposition und Umgang mit Minderheiten

Die Situation der politischen Opposition sowie der Umgang mit Minderheiten sind wesentliche Merkmale für eine funktionsfähige Demokratie. Werden ihre politischen Rechte beschnitten, ist dies ein Hinweis für Defizite in der demokratischen Entwicklung eines Landes.

Der Wahlsieg der Fidesz unter Führung Viktor Orbans war zugleich mit einer schweren Krise der bis dahin stärksten Partei, der Sozialisten, verbunden. Aufgrund der Zweidrittelmehrheit der Fidesz war die parlamentarische Opposition in den Jahren 2010 bis 2014 sehr schwach. Orban nutzte diesen Umstand, um seine Macht zielstrebig auszubauen. Dabei ging er durchaus geschickt vor, indem er die Möglichkeiten der Opposition auf juristischem Wege beschränkte, ohne dabei aber die Oppositionsparteien direkt anzugreifen. Die Erhebung vieler von Orban erlassener Gesetze in den Verfassungsrang hat die Gestaltungsmöglichkeiten jeder zukünftigen Regierung stark beschränkt.

Bei den Wahlen 2014 konnte sich Fidesz nur durch die Koalition mit den Christdemokraten erneut eine Zweidrittelmehrheit im Parlament sichern. Den Sozialdemokraten war es trotz des Zusammenschlusses mit drei kleineren Oppositionsparteien nicht gelungen, mehr als ein Viertel der Stimmen zu gewinnen. Deutlich gewinnen konnte dagegen die rechtsradikale Partei „Jobbik“. Jobbik ist aber nur eingeschränkt eine Opposition gegen Orban, da sie in wichtigen Abstimmungen oftmals mit der Regierung stimmt.

Bei der Parlamentswahl 2018 erlangte die national-konservative Fidesz Partei in Koalition mit der KDNP 48,8 Prozent der Stimmen und damit 133 der 199 Sitze im Parlament. Der amtierende Ministerpräsident Victor Orbán konnte also seine dritte Amtszeit in Folge antreten. Der Opposition und kritischen Medien drohte Orbán im Wahlkampf: „Wir sind sanfte und freundliche Menschen, aber wir sind weder blind noch tölpelhaft. Nach der Wahl werden wir uns natürlich Genugtuung verschaffen – moralische, politische und auch juristische Genugtuung.“
In den vergangenen Jahren haben sich die Proteste gegen die Politik der Fidesz verstärkt. Dabei kommt der außerparlamentarischen Opposition eine besondere Rolle zu. So kam es zu verschiedenen Großdemonstrationen gegen die Regierung. Angesichts der Schwäche und Zerstrittenheit der Opposition sehen offenbar viele Bürger den Protest auf der Straße als das wirksamste Mittel, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. So gab es Proteste mit über zehntausend Teilnehmern gegen eine von der Regierung Orban geplante Internetsteuer. Allerdings konzentrieren sich die Proteste überwiegend auf die Hauptstadt Budapest und einige andere Städte, in denen es eine kritische links-liberale Szene gibt.

Auffallend wenig Proteste gab es gegen die restriktive Flüchtlingspolitik der Regierung Orban. In diesem Punkt scheint ein großer Teil der ungarischen Bevölkerung hinter der Regierung zu stehen oder eine neutrale Haltung einzunehmen. Vermutlich dürfte dabei auch das historisch belastete Verhältnis der Ungarn zum Islam (Eroberung Südungarns durch die Türken) eine Rolle spielen, die zur ablehnenden Haltung bei der Aufnahme muslimischer Flüchtlinge führt.

Minderheiten

Was den Umgang mit sexuellen Minderheiten anbelangt, schränkt die Orban-Regierung zunehmend Rechte ein und stempelt Homosexualität als Feindbild ab. Homo- und Transsexualität sollen per Gesetz aus der Öffentlichkeit verschwinden. Im Juni 2021 wurde ein neues Anti-LGBT-Gesetz erlassen. Es sieht vor, dass Homosexualität nicht mehr „propagiert“ wird. Das heißt, dass im Zweifel jede Art von Information über Homosexualität nur unter Volljährigen verbreitet werden darf. Betroffen ist Aufklärungsunterricht an Schulen, aber auch Filme und Bücher mit schwulen Charakteren und Werbung, wenn diese sich an Minderjährige richtet.

Die EU-Kommission prüft nun, ob das gegen EU-Recht verstößt. Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist „sehr besorgt über das neue Gesetz in Ungarn“. Man prüfe, ob EU-Recht verletzt werde. „Ich glaube an ein Europa, das sich auf Diversität einlässt, nicht an eines, dass sie vor unseren Kindern verbirgt. Niemand sollte auf Grundlage der sex„uellen Orientierung diskriminiert werden.“

13 EU-Staaten forderten, den Verstoß gegen die EU-Grundrechtecharta zu ahnden und die Einhaltung europäischer Gesetze sicherzustellen. Die EU- Kommission müsse  als Hüterin der Verträge” alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Dazu gehöre auch, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen. Auf dem EU-Gipfel wurde Ungarn scharf kritisiert, die EU-Staatschefs konnten sich jedoch nicht auf ein  gemeinsames Vorgehen gegen  Ungarn einigen. Auch ein Rauswurf Ungarns aus der EU kam zur Sprache. Ein Land aus der EU zu werfen ist jedoch so nicht möglich, in den EU-Verträgen ist dies nicht vorgesehen.Ungarns Präsident Orban zeigte sich indes unbeeindruckt, er möchte das Gesetz nicht zurücknehmen,

Im Juli 2021 hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wie auch Polen eingeleitet. Dies ist nicht das erste Verfahren gegen die beiden Länder. Europa werde niemals zulassen, dass Teile der Gesellschaft stigmatisiert würden, erklärte Kommissionschefin von der Leyen. Polen und Ungarn haben nun zwei Monate Zeit, zu reagieren. Andernfalls kann die Kommission das Verfahren bis vor den Europäischen Gerichtshof bringen.

Ungarn hat mit seinem neuen Anti-Homosexuellen-Gesetz die russische Rechtsprechung kopiert. Es ähnelt sehr genau der Rechtslage in Russland.

Kaum Konflikte gibt es mit nationalen Minderheiten, die in Ungarn nur etwa 6 Prozent der Bevölkerung stellen. Eine Ausnahme bilden die Roma, die im Fokus der nationalistischen Rhetorik von Fidesz und Jobbik Politikern stehen. Die Roma gelten in Ungarn als schwer integrierbare Minderheit und die Kürzung sozialer Leistungen durch die Orban Regierung richtet sich indirekt besonders gegen die Roma, die einen überdurchschnittlichen Anteil bei den Empfängern sozialer Hilfen stellen. So sprach ein ungarischer Minister von „nicht förderungswürdigen Familien“, womit implizit Roma gemeint waren. Die Arbeitslosigkeit  und der Anteil Geringqualifizierter unter den Roma ist weit höher als im Bevölkerungsdurchschnitt.

Obwohl es kaum Juden in Ungarn gibt, findet man in der ungarischen Gesellschaft nicht selten antisemitische Einstellungen. Diese werden vor allem von der Partei „Jobbik“ bedient. Im April 2010 wurde von der Regierung Orban ein Gesetz beschlossen, das die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt.


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