Glasnost und Perestroika

Weitreichende Reformprozesse unter Gorbatschow

Unter den Schlagworten „Glasnost“ (Offenheit) und „Perestroika“ (Umgestaltung) versteht man den von Michail Gorbatschow (damaliger Generalsekretär KPdSU) 1985 in Gang gebrachten Reformprozess zur Umgestaltung der Sowjetunion. In der Bevölkerung herrschte damals große Unzufriedenheit, die Wirtschaftsleistung sank, die Preise stiegen. Gorbatschow setzte sich dafür ein, Politik und Gesellschaft zu reformieren und die angespannte Wirtschaftssituation zu bekämpfen. Mit seinen Reformen endete die lange Phase politischer Stagnation.

Doch die Völker, Regionen und Republiken des Vielvölkerstaates Sowjetunion nutzten die neuen Freiheiten und setzten eigene Autonomiebestrebungen in die Tat um. Es kam zum Zerfall und 1991 schließlich zum Ende der Sowjetunion. In einer Art Kettenreaktion waren andere kommunistisch regierte Staaten in Osteuropa dem Vorbild der Sowjetunion gefolgt. Einige davon traten später im Zuge der EU-Osterweiterung der Europäischen Union bei.

Glasnost und Perestroika waren demnach die einleitenden Prozesse zur Beendigung des Ost-West-Konflikts, zum Fall des „Eisernen Vorhangs“ und somit zum Ende des „Kalten Krieges“.


Die Reformen um Glasnost und Perestroika werden zuweilen auch als die „Zweite Russische Revolution” bezeichnet. Mit der ersten Russischen Revolution sind die Revolutionsbewegungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts gemeint.

Weitere Informationen über die Russische Revolution


 

Der Reformer Michail Gorbatschow

Michail Sergejewitsch Gorbatschow wurde am 2. März 1931 in Priwolnoje im Gebiet Stawropol im Nordkaukasus als Kind einer Bauernfamilie geboren. Am 30. August 2022 ist er im Alter von 91 Jahren nach schwerer Krankheit in Moskau verstorben.

Aufgewachsen im Dorf Privolnoe bei Stawropol, zog es ihn in den 1960er-Jahren zum Jura-Studium nach Moskau. 1970 wurde er Erster Gebietssekretär von Stawropol. Dort lernte ihn Andropow bei seinen Kuraufenthalten kennen und holte ihn 1978 nach Moskau zurück. Als Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU und seit 1980 als Vollmitglied des Politbüros lernte Gorbatschow den gesamten Machtapparat von innen kennen. „Die Seilschaften und die Verkrustung der Strukturen waren ihm zutiefst zuwider. Wie Chruschtschow träumte er von einer Wiederbelebung der Partei, von freien Wahlen – freilich innerhalb der Partei –, von offenen Diskussionen über Missstände innerhalb des Systems, nicht des Systems selbst, von Postenvergabe nach Leistung und nicht nach Seilschaft“, so die Historikerin Susanne Schattenberg. Beide wollten den Kommunismus nicht abschaffen, sondern reformieren und verbessern.

Am 11. März 1985 wurde er zum Generalsekretär der KPdSU gewählt. Er war mit 54 Jahren noch relativ jung und gehörte einer anderen Generation an als Breschnew, Andropow und Tschernenko. Gleich nach seinem Amtsantritt verkündete Gorbatschow im April 1985 sein Programm der Perestrojka. Die Idee, durch Glasnost könne die KPdSU neues Vertrauen erwerben, erwies sich jedoch als Illusion. Im Gegenteil: „Was zu Tage gefördert wurde, schockierte und empörte die Bevölkerung, so zum Beispiel die Umweltlügen in Gestalt der verbreiteten Behauptung, die Austrocknung des Aralsees sei keine ökologische Katastrophe und Umweltprobleme seien ein rein kapitalistisches Phänomen, oder die Gräueltaten und Gewaltverbrechen Stalins, über die nun viel schonungsloser als noch zu Chruschtschows Zeiten berichtet werden durfte“, so Susanne Schattenberg.

Der Putschversuch im August 1991 in Moskau beendete schließlich die politische Karriere Michail Gorbatschows und führte letztendlich zum Ende der Sowjetunion. Auch wenn der Putsch gescheitert war und Gorbatschow zunächst noch an der Macht blieb, galt die Sowjetunion in der Öffentlichkeit nun als Sache von Verbrechern und Verschwörern. Der Widerstand gegen diese schien zu belegen, dass die Union nicht mehr gewünscht war. Am 21. Dezember 1991 unterzeichneten die Führer von elf Sowjetrepubliken das Gründungsdokument der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Die Sowjetunion war damit Geschichte. Gorbatschow war jetzt ein Präsident ohne Staat und trat am 25. Dezember 1991 zurück.

Im Westen als Weltveränderer hoch geschätzt blieb ihm zeitlebens die Wertschätzung in großen Teilen seines eigenen Landes verwehrt.

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Was bedeutet „Glasnost“?

„Wir wollen Offenheit in allen öffentlichen Angelegenheiten und in allen Bereichen des Lebens“, erklärte Gorbatschow 1987 in der Ankündigung seines umfassenden Reformprogramms.

Mit Glasnost (Offenheit, Transparenz) waren zunächst Lockerungen im Bereich der Freiheitsrechte gemeint. Die Beschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit in der Sowjetunion waren damals massiv. Ziel Gorbatschows war es, Transparenz über die Entscheidungen im Partei- und Staatsapparat zu schaffen und eine gewisse öffentliche Kontrolle zu etablieren.

Die Öffnung des sozialistischen Systems sollte nach Gorbatschow auch anderen osteuropäischen Ländern ermöglicht werden. Er hob daher die „Breschnew-Doktrin“ auf (politische Leitlinie der Sowjetunion aus dem Jahr 1968 über die „begrenzte Souveränität sozialistischer Länder“) und sicherte den kommunistischen Staaten zu, ihre Eigenständigkeit zu achten. Polen und Ungarn waren die ersten, die die Reformen umsetzen.

Als Gorbatschow im Juni 1989 die Bundesrepublik besuchte, bekräftigte er in einer „gemeinsamen Erklärung“ erstmals das Recht eines jeden Staates, „das eigene politische und soziale System frei zu wählen“. Das damalige Regime in der DDR lehnte Reformen jedoch ab, es fürchtete um seine Macht.

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Was bedeutet „Perestroika“?

Perestroika (Umbau, Umgestaltung) bezeichnet den von Gorbatschow seit Anfang 1986 eingeleiteten Prozess zum Umbau und zur Modernisierung des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Systems der Sowjetunion. Insbesondere ging es um eine Revision des zentralistischen Führungssystems, Lockerungen der Parteidirektiven und um eine größere Effizienz der Wirtschaft und die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in der Wirtschaft.

Die Perestroika war von der Politik der Glasnost begleitet: Missstände sollten offen kritisiert werden, in der Tradition von Kritik und Selbstkritik sollte die Benennung von Fehlern zu deren Behebung führen.

Die Umgestaltung bezog sich dabei auf weite Teile der Gesellschaft und bedeutete im weiteren Sinn die Demokratisierung des Staates: „Wir sprechen von der Umgestaltung und den mit ihr verbundenen Prozessen einer tiefgreifenden Demokratisierung der Gesellschaft und fassen dabei wirklich revolutionäre sowie allseitige Veränderungen in der Gesellschaft ins Auge“, so Gorbatschow in seiner Rede aus dem Jahr 1987 „Die Umgestaltung und die Kaderpolitik der Partei“.

„Die Perestroika war für uns von vitaler Notwendigkeit, eine andere Methode, um aus dem Teufelskreis herauszukommen, in den wir geraten waren, gab es nicht. Sie wurde immer notwendiger, da das Land mit immer größer werdendem Tempo die früheren Positionen einbüßte, hinter den entwickelten Staaten der Welt praktisch in allen Richtungen des technischen, wissenschaftlichen und sogar sozialen Fortschritts zurückblieb“, so Gorbatschow laut einem ihm zugeschriebenen Zitat.

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Dokumentationen und Erklärfilme

Mensch Gorbatschow! | ZDFzeit 2022 (43 min.)

Michail Gorbatschow - der Mann, der die Welt veränderte | ARD 2022 | 2022 (27 min.)

Gorbatschow - Eine Begegnung | Film von Werner Herzog und André Singer, 2018 | ARD | (1:30 )

Michail Gorbatschow | Doku ARTE 2020 (1:40)

Michail Gorbatschow - der Weltveränderer | Doku ZDF History 2017 (44 min.)

Das Ende der Sowjetunion: Ein Videoglossar | Glasnost & Perestroika | BpB 2021 (3:38)

Das Ende der Sowjetunion | MrWissen2go Geschichte 2019 (11 min.)


 

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