Orange Revolution Ukraine 2004

Wahlproteste erfolgreich – Reformen verfehlt

Unter der sogenannten Orangenen Revolution sind eine Serie von Massenprotesten zu verstehen, die sich im Jahr 2004 im Zuge der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine ereignet haben. Benannt ist die Revolution nach der Farbe der Wahlkampagne des Präsidentschaftskandidaten aus dem pro-westlichen Lager, Wiktor Juschtschenko, der laut offiziellem Ergebnis der Zentralen Wahlkommission dem von Russland unterstützten Kandidaten Wiktor Janukowytsch in der Stichwahl unterlegen gewesen sein soll. Die Oppositionsbewegung sprach von massiven Wahlfälschungen und setzte sich erfolgreich zur Wehr. Auf Beschluss des Obersten Gerichts wurde die Stichwahl einen Monat später wiederholt, dieses Mal ging nach der Auszählung Wiktor Juschtschenko als Sieger hervor.

Die Revolution dauerte insgesamt gut zwei Monate an und verlief unblutig. Im Januar 2005 übernahm Juschtschenko die Regierung und wurde neuer Präsident der Ukraine. Auch wenn sein Wahlsieg ein Signal setzte für den demokratischen Aufbruch in der Ukraine, gilt die Revolution jedoch letztendlich als gescheitert, da es in den folgenden Jahren nicht gelungen ist, die erhofften Reformen umzusetzen. Die von großen Teilen der Bevölkerung erwünschte Westorientierung verstärkte in den Folgejahren weiterhin die Konfrontation mit Russland, das einen Demokratisierungsprozess und die zunehmende Annäherung der Ukraine an die EU verhindern wollte. 

Die Orangene Revolution reiht sich ein in eine Reihe von politischen Umbrüchen, die als Farbrevolutionen bezeichnet werden. Bei den Protesten kamen –  im Gegensatz zu den 2013 folgenden Euromaidan-Protesten – keine Menschen ums Leben.

Farbenrevolutionen

Zu Beginn des neuen Jahrtausends kam es in mehreren Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu Massenprotesten, die als „Farbrevolutionen“ bezeichnet werden. Georgien wurde mit der „Rosenrevolution” 2003 als erstes von dieser Protestwelle erfasst, 2004 folgte in der Ukraine die „Orange Revolution“ und 2005 in Kirgisien die „Tulpenrevolution“. Auch die Proteste 2000 in Serbien, die Slobodan Milosevic aus dem Amt drängten und den Demonstrierenden in Tiflis und Kyjiw als “Blaupause” dienten, werden zu den Farbrevolutionen gezählt.

Die Farbrevolutionen entstanden infolge von Wahlen bzw. massiven Wahlfälschungen durch zunehmend autoritär regierende Regime, weswegen sie im wissenschaftlichen Diskurs auch als „elektorale Revolutionen“ bezeichnet werden. Infolge der Wahlfälschungen organisierten zivilgesellschaftliche Akteure breite Proteste, an denen Hunderttausende Demonstrierende friedlich teilnahmen (abgesehen von Kirgisien, wo es auch zu Gewalt kam) und freie und faire Wahlen forderten. Durch die Massenproteste wuchs der gesellschaftliche Druck so stark, dass die Machthaber letztlich gestürzt wurden und oppositionelle, pro-demokratische Kräfte die Macht übernahmen.

Eine wichtige Rolle bei der Organisation und Mobilisierung der Proteste sowie bei der Aufdeckung von Wahlfälschungen (z.B. durch Wahlbeobachtung und Nachwahlbefragungen) spielten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Otpor! in Serbien, Kmara! in Georgien und Pora! in der Ukraine. Sie waren durch westliche Demokratieförderprogramme finanziert, untereinander vernetzt und übernahmen erfolgreiche Protestformate und -taktiken. Aufgrund ihrer Schlüsselrolle für die Farbrevolutionen reagierten autokratische Machthaber in anderen postsowjetischen Staaten mit Repressionen gegen die Zivilgesellschaft, um präventiv weitere Proteste im Keim zu ersticken. So wurden in Russland, Belarus oder Usbekistan aus Sorge vor weiteren Farbrevolutionen zahlreiche nationale und internationale NGOs geschlossen, vertrieben oder verboten.

Wahlfälschungen bei der Präsidentschaftswahl 2004

Im Unterschied zu Georgien waren es in der Ukraine nicht manipulierte Parlaments-, sondern Präsidentschaftswahlen, die die Ukrainer:innen zu Hunderttausenden mobilisierten. Auslöser waren Wahlfälschungen beim Zweikampf um die Präsidentschaft zwischen Premierminister Wiktor Janukowytsch, der vom scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma sowie von Russland unterstützt wurde, und Wiktor Juschtschenko, dem pro-westlichen Herausforderer der Opposition. Als im ersten Wahlgang am 31.10.2004 keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit sichern konnte – Juschtschenko erhielt 39,87 Prozent der Stimmen, Janukowytsch 39,32 Prozent – kam es am 21. November zu einer Stichwahl.

Nachdem die Wahllokale geschlossen wurden, prognostizierten erste Nachwahlbefragungen eine klare Führung mit 9-11 Prozent für Juschtschenko. Die Zentrale Wahlkommission, der eine Nähe zur Regierung nachgesagt wurde, verkündete nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen, dass Janukowytsch mit 49,4 Prozent – und somit knapp drei Prozentpunkten Vorsprung – gewonnen habe. Zustande kam dieses vorläufige offizielle Ergebnis durch massive Wahlfälschungen, die von ukrainischen und internationalen Wahlbeobachter:innen vielfach dokumentiert wurden. Juschtschenko, der im hart geführten Wahlkampf sogar mit Dioxin vergiftet wurde und beinahe starb, rief gemeinsam mit anderen Oppositionspolitiker:innen zu Protesten und Streik auf.

 

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Hunderttausende gehen auf die Straßen

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Am 22. November 2004 versammelten sich bis zu 150.000 Menschen in Kyjiw, viele davon mit Fahnen oder Kleidung in Orange, der Farbe der Wahlkampagne von Juschtschenko, die den Protesten schließlich ihren Namen gab. Ihre zentralen Forderungen waren die Annullierung der Wahlergebnisse und Neuwahlen. Im Zentrum Kyjiws wurde auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz, ein Zeltcamp errichtet. Organisiert wurden die Proteste von der Jugendorganisation Pora! („Es ist Zeit“!), die Kontakte zu ähnlichen Gruppierungen wie Kmara! aus Georgien und Otpor! aus Serbien hatte und von diesen in friedlichen Protestformen geschult worden waren. Die Demonstrierenden kündigten an, so lange zu protestieren, bis ihre Ziele erreicht werden. Am 23. November kamen bei der größten Demonstration seit der Unabhängigkeit der Ukraine schätzungsweise 500.000 Menschen im Zentrum der Hauptstadt zusammen.

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Wahlwiederholung macht Juschtschenko zum Präsidenten

Ein Runder Tisch, an dem neben Kutschma, Janukowytsch und Juschtschenko auch der OSZE-Generalsekretär und der EU-Außenbeauftragte teilnahmen, brachte keine Ergebnisse. Schließlich erklärte das Oberste Gericht der Ukraine am 3. Dezember die Wahlergebnisse für ungültig mit der Begründung, dass aufgrund der massiven Wahlfälschungen kein offizielles Wahlergebnis festgestellt werden könne. Das Gericht annullierte das offizielle Wahlergebnis der Zentralen Wahlkommission und ordnete eine erneute Stichwahl für den 26. Dezember an. Die Protestierenden und die Opposition hatten ihre beiden zentralen Forderungen erreicht.

Die Wiederholung der Stichwahl fand unter intensiver Beobachtung von nationalen und internationalen Wahlbeobachter:innen statt, die dieses Mal keine nennenswerten Verstöße feststellen konnten und eine freie und faire Wahl attestierten. Wiktor Juschtschenko gewann die Stichwahl deutlich mit 52 Prozent der Stimmen, Wiktor Janukowytsch erhielt 44,2 Prozent. Am 10. Januar 2005 erklärte die Zentrale Wahlkommission Juschtschenko offiziell zum Sieger und am 23. Januar wurde er in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, als neuer Präsident der Ukraine vereidigt. Anschließend feierte er mit Zehntausenden Anhängern auf dem Maidan – dort, wo die „Orange Revolution“ zwei Monate zuvor ihren Anfang nahm, endeten die Proteste somit auch wieder in einer großen Feier.

 

Chance auf nachhaltige Veränderungen vertan

Mit dem friedlichen Machtwechsel erhofften sich viele Ukrainer:innen einen politischen Neuanfang und Reformen. Unter dem zunehmend autoritär regierenden Präsidenten Leonid Kutschma waren Oligarchie, Vetternwirtschaft und Korruption zu den größten Problemen geworden und Juschtschenko hatte in seinem Wahlkampf versprochen, dagegen vorzugehen. Allerdings zerstritt sich das Reformlager um Juschtschenko in kürzester Zeit und es kam zu einem Machtkampf zwischen Präsident Juschtschenko und Premierministerin Julija Tymoschenko, die ihn während der „Orangen Revolution“ noch unterstützt hatte. Wegen angeblicher Korruptionsvorwürfe löste Juschtschenko die Tymoschenko-Regierung im September 2005 auf, was nach nur einem halben Jahr das Aus für die inzwischen tief zerstrittene „Orange Koalition“ bedeutete.

Nach den Parlamentswahlen im März 2006 kam es zu einer weiteren politischen Krise, aus der schließlich Juschtschenkos Rivale Janukowytsch als neuer Premierminister hervorging. Die ständigen Auseinandersetzungen zwischen Präsident und Regierung lähmten die Politik in den kommenden Monaten, und die mit der Orangen Revolution erhofften Reformen konnten nicht umgesetzt werden.

Das führte dazu, dass Juschtschenko, der persönlich für die Misserfolge seiner Präsidentschaft verantwortlich gemacht wurde, bei den Präsidentschaftswahlen 2010 mit 5,45 Prozent das schlechteste Wahlergebnis eines amtierenden Präsidenten in der Ukraine erzielte. Die Wahl gewann: Wiktor Janukowytsch. Somit hatte die Orange Revolution kurzfristig zwar einen großen Erfolg erzielt, die damit verknüpften großen Erwartungen auf Veränderungen durch einen Reformprozess wie in Georgien realisierten sich jedoch nicht. Dennoch spielt die Orange Revolution im kollektiven Gedächtnis der Ukraine bis heute eine wichtige Rolle.

Ukraine heute

Die Ukraine, die erst 1991 ihre staatliche Eigenständigkeit erlangte, ist aufgrund ihrer Geschichte und ihrer Geografie ein heterogen geprägtes Land. Im Unterschied zu vielen anderen postsowjetischen Staaten konnten sich in der Ukraine allerdings infolge dreier Revolutionen (der „Revolution auf Granit“ 1990, der „Orangen Revolution“ 2004  und dem „Euromaidan“ bzw. der „Revolution der Würde“ 2013/14) demokratische Strukturen herausbilden. Insbesondere nach dem „Euromaidan“ wurde ein Demokratisierungs- und Reformprozess eingeleitet, in dem in kürzester Zeit mehr Reformen umgesetzt wurden, als in den 20 Jahren zuvor, zum Beispiel im Bereich der Korruptionsbekämpfung oder der lokalen Selbstverwaltung.

Durch die Unabhängigkeit und den zunehmend westlichen Kurs Richtung EU und NATO setzte sich die Ukraine immer stärker von Russland ab. Das versuchte der Kreml regelmäßig zu verhindern und griff dabei zu immer drastischeren Maßnahmen: Der Annexion der Krim 2014, dem bewaffneten Konflikt im Donbas und schließlich der vollumfänglichen Invasion 2022. Die Ukrainer:innen zeigen sich jedoch wehrhaft und das Land fiel – entgegen vieler Erwartungen – nicht auseinander. Stattdessen erscheint die Ukraine heute geeinter denn je als eine politische Nation, die für ihre Souveränität, Freiheit und europäische Zukunft kämpft.

In den kommenden Jahren wird sich zeigen, inwiefern der Wiederaufbau des Landes nach Beendigung dieses Krieges gelingen und eine Anknüpfung an den Europäisierungs- und Demokratisierungsprozess mit Hilfe des Westens erfolgen kann.


Weitere Informationen über die Geschichte und  Politik der Ukraine sowie den aktuellen Krieg in der Ukraine


Autor: Dr. Eduard Klein, Universität Bremen. Aufbereitung für das Internet: LpB BW.

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Linksammlung

Quellen & weitere Infos

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Literaturhinweise

Bivings, Lili  (2022): Ukraine's Orange Revolution, Kyiv Independent.

D’Anieri, Paul (Hg.) (2010): Orange Revolution and Aftermath: Mobilization, Apathy, and the State in Ukraine, Johns Hopkins University Press, ISBN: 978-0-8018-9803-7.

Lane, David (2008): The Orange Revolution: ‘People’s Revolution’ or Revolutionary Coup? The British Journal of Politics and International Relations 10 (4), S. 525–49.

Polese, Abel & Beacháin, D.O. (2011): The color revolution virus and authoritarian antidotes: Political protest and regime counterattacks in post-communist spaces. Demokratizatsiya 19 (1), S. 111-132, demokratizatsiya.pub/archives/19_2_L51631MM34337322.pdf.  

Silitski, Vitali (2009) “Debating the Color Revolutions: What Are We Trying to Explain?”, Journal of Democracy 20(1), S. 86-89, doi:10.1353/jod.0.0045.

White, Stephen; McAllister, Ian (2009): Rethinking the ‘Orange Revolution’, Journal of Communist Studies and Transition Politics, 25(2-3), S. 227-254, DOI: 10.1080/13523270902903947.

 

 

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