Rosenrevolution Georgien 2003

Blumen statt Kugeln

Die sogenannte Rosenrevolution ereignete sich im Jahr 2003 in der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien. Benannt ist sie nach einem Zitat des ersten georgischen Präsidenten Swiad Gamsachurdia: „Wir werden Rosen statt Kugeln auf unsere Feinde werfen.“ Die von Michail Saakaschwili und weiteren jungen Reformpolitikern ausgelöste Revolution richtete sich gegen die amtierende Regierung unter Eduard Schewardnadse. Die Revolution verlief unblutig und führte zu einem gewaltfreien Regierungswechsel. Im Januar 2004 übernahm Saakaschwili die Regierung und wurde der neue Präsident Georgiens. Die in Folge umgesetzten Reformen befreiten Georgien aus den festgefahrenen Strukturen der postsowjetischen Ära. Die Orientierung in Richtung Westeuropa verstärkte jedoch weiterhin die Konfrontation mit Russland und sorgte für innerstaatliche Konflikte welche schließlich im Georgienkrieg 2008 mündeten.

Die Rosenrevolution reiht sich ein in eine Reihe von politischen Umbrüchen, die als Farbrevolutionen bezeichnet werden.

Farbenrevolutionen

Zu Beginn des neuen Jahrtausends kam es in mehreren Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu Massenprotesten, die als „Farbrevolutionen“ bezeichnet werden. Georgien wurde mit der „Rosenrevolution” 2003 als erstes von dieser Protestwelle erfasst, 2004 folgte in der Ukraine die „Orange Revolution“ und 2005 in Kirgisien die „Tulpenrevolution“. Auch die Proteste 2000 in Serbien, die Slobodan Milosevic aus dem Amt drängten und den Demonstrierenden in Tiflis und Kyjiw als “Blaupause” dienten, werden zu den Farbrevolutionen gezählt.

Die Farbrevolutionen entstanden infolge von Wahlen bzw. massiven Wahlfälschungen durch zunehmend autoritär regierende Regime, weswegen sie im wissenschaftlichen Diskurs auch als „elektorale Revolutionen“ bezeichnet werden. Infolge der Wahlfälschungen organisierten zivilgesellschaftliche Akteure breite Proteste, an denen Hunderttausende Demonstrierende friedlich teilnahmen (abgesehen von Kirgisien, wo es auch zu Gewalt kam) und freie und faire Wahlen forderten. Durch die Massenproteste wuchs der gesellschaftliche Druck so stark, dass die Machthaber letztlich gestürzt wurden und oppositionelle, pro-demokratische Kräfte die Macht übernahmen.

Eine wichtige Rolle bei der Organisation und Mobilisierung der Proteste sowie bei der Aufdeckung von Wahlfälschungen (z.B. durch Wahlbeobachtung und Nachwahlbefragungen) spielten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Otpor! in Serbien, Kmara! in Georgien und Pora! in der Ukraine. Sie waren durch westliche Demokratieförderprogramme finanziert, untereinander vernetzt und übernahmen erfolgreiche Protestformate und -taktiken. Aufgrund ihrer Schlüsselrolle für die Farbrevolutionen reagierten autokratische Machthaber in anderen postsowjetischen Staaten mit Repressionen gegen die Zivilgesellschaft, um präventiv weitere Proteste im Keim zu ersticken. So wurden in Russland, Belarus oder Usbekistan aus Sorge vor weiteren Farbrevolutionen zahlreiche nationale und internationale NGOs geschlossen, vertrieben oder verboten.

Ausgangslage

Georgien galt unter den postsowjetischen Staaten zwar als eines der liberaleren und demokratischeren Länder, war aber zugleich eines der ärmsten und korruptesten. Politisch wurde das Land infolge des Georgisch-Südossetischen Kriegs (1990-1992) und des Georgisch-Abchasischen Kriegs (1992-1993) destabilisiert, wirtschaftlich lag es wegen der Bürgerkriege am Boden. Die Regierung in Tiflis besaß weder die Kontrolle über die von Russland unterstützten Gebiete in Abchasien und Südossetien im Norden des Landes, noch über die Region Adscharien im Südwesten, wo ein militärischer Konflikt zwar verhindert werden konnte, aber nur zulasten eines weiteren de facto unabhängigen autokratischen Willkürregimes.

Demokratischer Spielraum ebnet Reformen den Weg

Der ehemalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse, der 1995 zum Präsidenten gewählt wurde, scharte eine Riege von jungen Reformerinnen und Reformern um sich, die das Land aus der Krise holen sollten. Darunter waren Surab Schwania, Nino Burdschanadse und Micheil Saakaschwili, die jedoch aufgrund der vorherrschenden informellen Macht- und Clanstrukturen in Konflikt mit Schewardnadse gerieten, dem sie außerdem persönliche Bereicherung vorwarfen. Der populäre Justizminister Saakaschwili, der das korrupte Justizsystem gegen große Widerstände der alten Eliten reformierte, sich dabei aber vom Präsidenten nicht genügend gestützt sah, trat daraufhin 2002 von seinem Posten zurück und ging in die Opposition. Er gründete und leitete die Partei Vereinte Nationale Bewegung, die noch bei den Regionalwahlen im selben Jahr einen beachtlichen Erfolg erzielen konnte.

Bei den Parlamentswahlen am 2. November 2003 brach sich die große gesellschaftliche Unzufriedenheit über die Regierung bahn. Neben Saakaschwilis Partei erhielten auch die oppositionellen Burdschanadse-Demokraten, angeführt von Parlamentssprecherin Nino Burdschanadse und ihrem Vorgänger Surab Schwania, großen Zuspruch. Die Nachwahlbefragungen erklärten Saakaschwilis Bündnis zum Wahlsieger, erste offizielle Hochrechnungen hingegen erklärten Schewardnadses Bündnis Für ein neues Georgien zum Sieger. Internationale Wahlbeobachtungsmissionen, darunter von der OSZE, kritisierten, dass internationale Standards nicht eingehalten und die Wahlen manipuliert worden waren. Saakaschwili rief in einem Bündnis mit den anderen oppositionellen Kräften zu Protesten und zivilem Ungehorsam auf und verlangte die Absetzung seines einstigen Förderers Schewardnadse sowie Neuwahlen.

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„Wir werden Rosen statt Kugeln auf unsere Feinde werfen“

Schewardnadse ging auf die Forderungen nicht ein, woraufhin die Proteste immer größer wurden und das gesamte Land ergriffen. Die Losung des ersten georgischen Präsidenten, Swiad Gamsachurdia, „Wir werden Rosen statt Kugeln auf unsere Feinde werfen“, die Saakaschwili bei einer seiner Kundgebungen aufgriff, gab den Protesten ihren Namen. Die Proteste wurden nicht nur von der Opposition organisiert, sondern in weiten Teilen von der NGO Kmara!, deren Mitglieder von der serbischen Jugendbewegung Otpor! geschult worden waren, die seinerzeit das Milosevic-Regime mit friedlichen Mitteln gestützt hatten. Auch der regierungsunabhängige TV-Sender Rustavi-2 spielte eine wichtige Rolle, da darüber die Menschen von den Ergebnissen der Nachwahlbefragungen erfuhren, was die eklatanten Wahlfälschungen aufdeckte und die Massen mobilisierte.

Am 21. November protestierten bereits mehr als 100.000 Menschen auf dem Freiheitsplatz im Zentrum der Hauptstadt Tiflis. Als Schewardnadse am folgenden Tag die Eröffnungsrede im Parlament halten wollte, stürmten Saakaschwilis Anhänger, “bewaffnet” mit Rosen in der Hand, das Gebäude und forderten den Rücktritt Schewardnadses. Es kam zu tumultartigen Szenen, der Präsident musste mithilfe seiner Leibwache in seine Residenz fliehen. Nach Verhandlungen mit den Oppositionsführern Saakaschwili und Schwania verkündete Schewardnadse, der den Rückhalt von Polizei- und Sicherheitsapparat verloren hatte, schließlich am Abend des 23. Novembers seinen Rücktritt. In der Hauptstadt Tiflis feierten Hunderttausende nach 20 Tagen des Protests den Sieg der Rosenrevolution bis tief in die Nacht. 

Der Oberste Gerichtshof annullierte schließlich die Wahlen. Bei den Neuwahlen am 28. März errang die Partei von Saakaschwili, der am 4. Januar 2004 mit einer überwältigenden Mehrheit von 96 Prozent zum neuen Präsidenten gewählt wurde, mit mehr als 66 Prozent die absolute Mehrheit. Die Rosenrevolution bewirkte nicht nur einen friedlichen und demokratischen Regimewandel, sondern auch einen Generationenwechsel in der Politik. Der im Westen ausgebildete 36-jährige Saakaschwili stand für Aufbruch und Neuanfang, während sein Vorgänger, der aus der sowjetischen Nomenklatura stammende 75-jährige Schewardnadse das alte System verkörperte, das mit der Revolution überwunden wurde.

 

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Spürbare Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung

Seinen großen Zuspruch in der Bevölkerung nutzte Saakaschwili, um seinen Reformkurs fortzusetzen: Wirtschaftliche Liberalisierung, Bürokratieabbau und die Westintegration des Landes standen dabei im Mittelpunkt. Die Alltagskorruption, z. B. im öffentlichen Dienst, dem Bildungssektor oder bei der Polizei, verschwand durch zahlreiche Formen praktisch innerhalb weniger Jahre. Das zeigt sich in internationalen Rankings wie dem Corruption Perpections Index, der die Korruptionswahrnehmung misst, und wo Georgien sich rasch verbessern konnte:

Das Land stieg von Platz 124 im Jahr 2003 auf Platz 67 im Jahr 2008 und verzeichnete damit, ausgenommen der baltischen Staaten, die niedrigste Korruptionswahrnehmung unter den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Im Doing Business Index der Weltbank stieg das Land in kürzester Zeit von Platz 112 auf Platz 11 – die Wirtschaft profitierte spürbar von Saakaschwilis Reformpolitik und wuchs kräftig. Die Verantwortlichen im Reformprozess um Präsident Saakaschwili hatten ihre zentralen Versprechen umgesetzt.

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Die Revolution frisst ihre Kinder

Dennoch geriet Saakaschwili wegen seines zunehmend autoritären Politikstils und politischer Skandale immer stärker in die Kritik. Die Bekämpfung der politischen Korruption erfolgte oft selektiv, so dass vor allem Saakaschwilis Opponenten in die Fänge der Justiz gerieten. Im November 2007 kam es zu Massenprotesten, bei denen Saakaschwilis Rücktritt gefordert wurde, und die schließlich mit Gewalt aufgelöst wurden - die Legitimität Saakaschwilis hatte spürbar gelitten. Saakaschwili trat am 25. November von seinem Amt zurück, um vorgezogene Präsidentschaftswahlen zu ermöglichen, die er am 5. Januar 2008 zwar mit mehr als 53 Prozent gewann. Doch der anfängliche Reformkurs geriet immer mehr ins Stocken. Folglich verlor seine Partei bei den Parlamentswahlen 2012 die Mehrheit, bei den Präsidentschaftswahlen 2013 durfte er nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Nach dem Ende seiner Amtszeit emigrierte Saakaschwili in die USA, und gegen den einstigen Hoffnungsträger der georgischen Demokratiebewegung wurden Ermittlungen wegen Amtsmissbrauch eingeleitet. Bei seiner Rückkehr 2021 nach Georgien wurde Saakaschwili verhaftet und befindet sich seither in einem Gefängnis.

Georgien heute

Ein Großteil der georgischen Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren zunehmend von der Politik und ihrer Klientel-Wirtschaft enttäuscht. Sozial haben sich die Lebensbedingungen nicht verbessert. Große Investitionen, wie der Hafen von Anaklia, werden blockiert. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat kein solides Einkommen. Die Westintegration in die EU und NATO stocken. So macht sich der Unmut immer wieder in Demonstrationen breit. Seit längerem steckt das Land in einer politischen Krise. Es kommt keine Regierung zustande, die von Dauer wäre, mehrere Premierminister haben in den vergangenen Jahren ihren Rücktritt erklärt. Seit Februar 2021 ist Irakli Gharibaschwili im Amt, jedoch auch gegen ihn wurden mehrfach bereits Rücktrittsforderungen laut. Die politische Krise setzt sich fort.


Weitere Informationen über die Geschichte und aktuelle Politik Georgiens


Autor: Dr. Eduard Klein, Universität Bremen. Aufbereitung für das Internet: LpB BW.

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Linksammlung

Quellen & weitere Infos

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Literaturhinweise

Dobbins, Michael (2014): The Post-Rose Revolution Reforms as a Case of Misguided Policy Transfer and Accidental Democratisation?, Europe-Asia Studies, 66 (5), S. 759-774, DOI: 10.1080/09668136.2014.910941

Fairbanks, Charles H. (2004): Georgia's Rose Revolution, Journal of Democracy 15 (2), S. 110-124, doi:10.1353/jod.2004.0025 .

Fighting corruption in public services : chronicling Georgia's reforms (English). Directions in development: public sector governance Washington, D.C. : World Bank Group.

Kandelaki, Giorgio (2006): Georgia's Rose Revolution: A Participant's Perspective, United States Institute of Peace, Special Report 167, July 2006.

Polese, Abel & Beacháin, D.O. (2011): The color revolution virus and authoritarian antidotes: Political protest and regime counterattacks in post-communist spaces. Demokratizatsiya 19 (1), S. 111-132, demokratizatsiya.pub/archives/19_2_L51631MM34337322.pdf.  

Silitski, Vitali (2009) “Debating the Color Revolutions: What Are We Trying to Explain?”, Journal of Democracy 20(1), S. 86-89, doi:10.1353/jod.0.0045.

 

 

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