Geschichte Estland

100 Jahre Unabhängigkeit – das feierte Estland am 24. Februar 2018. Denn vor 100 Jahren erklärte sich Estland vom Russischen Reich unabhängig. Lange währte die Unabhängigkeit jedoch nicht. Im geheimen Zusatzprotokoll zum Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion (Hitler-Stalin-Pakt) wurden die baltischen Staaten der sowjetischen Einflusssphäre zugeschlagen. Im Jahr 1940 wurde Estland von der Sowjetunion annektiert. Nur ein Jahr später, im Juni 1941, überfiel das nationalsozialistische Deutschland die Sowjetunion und besetzte auch Estland bis 1944. Als die Wehrmacht in die Defensive geriet und sich zurückzog, besetzte erneut die Rote Armee Estland; es wurde wenig später in die Sowjetunion eingegliedert. Erst am 20. August 1991 konnte Estland seine Unabhängigkeit nach mehrjähriger Okkupation durch die Sowjetunion (1944 – 1991) wiedererlangen. So feiern die Estinnen und Esten bis heute zwei Nationalfeiertage: den 24. Februar und den 20. August.

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Vor der Unabhängigkeit

Fast acht Jahrhunderte lang war das Territorium des heutigen Estlands, wie das gesamte Baltikum, ein Spielball im Machtkampf verschiedener Staaten. Noch bis ins 12. Jahrhundert war den Stämmen, die auf dem Gebiet des heutigen Estlands lebten, eine gewisse Unabhängigkeit zu eigen. Grund dafür waren unzugängliche Siedlungsgebiete und eine militärische Vitalität. Doch mit der Schwertmission im 13. Jahrhundert kam es zu einem Wandel: kaufmännische, kirchliche und staatliche Interessen erhielten Einzug in das Baltikum. Die Region stand unter dem Einfluss der drei großen Bewegungen des europäischen Mittelalters: aufblühender Fernhandel, Kreuzzugsbewegungen und deutsche Siedlungsbewegung nach Osten. So gründete zum Beispiel der Schwertbruderorden zusammen mit deutschen Siedlern 1230 die heutige Stadt Tallinn. Sowohl die Ritter des Schwertbrüderordens als auch Dänemark hatten im 13. Jahrhundert in dieser Region eine große Macht inne. Im Jahr 1346 verkaufte Dänemark seine Teile Estlands an den Deutschen Orden, in dem zuvor schon der Schwertbrüderorden aufgegangen war. So kam es zur „Livländischen Konförderation“, die aus fünf geistlichen Territorien bestand. Nach dem Auseinanderbrechen dieses Ordensstaates unter den Angriffen von „Iwan dem Schrecklichen“ unterstellte sich Estland Schweden. Nach der Niederlage Schwedens im Nordischen Krieg (1700–1721) wurde es dem Russischen Reich zuerkannt und blieb bis zur Unabhängigkeit 1918 russisch.

Seit der Unterwerfung durch die Ritterorden bildeten deutsche Ritter und ihre Nachfahren die Oberschicht in Estland. Deutsch war Amtssprache und blieb auch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Unterrichtsfach. Die estnische Sprache und Kultur blieben den Bauern vorbehalten.

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Unabhängigkeit 1918

Die Agrarreformen im 19. Jahrhundert förderten die nationale und geistige Emanzipation der Esten. Nach und nach bildete sich das estnische Bürgertum heraus, in dem die Idee nationalstaatlicher Unabhängigkeit an Popularität gewann. Schon im Jahr 1905 schwappte revolutionäres Gedankengut von Petersburg in baltische Städte. Der „Blutsonntag“ löste Unruhen aus und nach nach ging der russische Generalstreik auch auf die baltischen Provinzen über. Daraufhin kam es zu Kämpfen zwischen den aufständischen Bauern und dem russischen Militär. Durch die Revolution kam es in der gesamten Region vor allem zu einem Aufschwung des gesamten Kulturwesens, woraufhin sich eine lebendige Zivilgesellschaft entwickeln konnte. Eine besondere Rolle kam auch der Universität Tartu zu, die einen großen Beitrag zur Herausbildung der kulturellen und politischen Identität der studierenden Esten und Estinnen leistete.

Mit der Umstellung des autokratischen Zarenreiches auf eine konstitutionelle Monarchie kam auch den baltischen Provinzen durch die Volksvertretung Duma mehr Selbstbestimmung zu, und Politiker*innen aus diesen Regionen konnten sich trotz Einschränkungen mehr und mehr einbringen. Dennoch beschränkten sich die Nationalbestrebungen Estlands, Lettlands und Litauens auf Autonomiewünsche. Erst gegen Ende des 1. Weltkrieges wurden die Nationalbestrebungen vertieft.

Mit dem Sturz des Zarenreiches in der Februarrevolution 1917 und der darauffolgenden provisorischen russischen Regierung kam es zum Umbruch. Ende März wurde der Wunsch formuliert, das estnische Siedlungsgebiet zusammenzulegen. Dies wurde durch den bis dahin größten Demonstrationszug von 40.000 Esten und Estinnen in Petrograd zum Taurischen Palais, dem Sitz der Provisorischen Regierung, verdeutlicht. So wurde das ehemalige Gouvernement Estland, Nordlivland und die Inseln zu einer administrativen Einheit zusammengefasst. Unmittelbar vor der Besetzung Revals durch deutsche Truppen gelang es einem so genannten „Rettungskomitee“ den selbstständigen Freistaat zu proklamieren. Die Befürworter der Unabhängigkeit nutzen wohl das vorherrschende Machtvakuum, das durch den ausgehenden Weltkrieg und die bolschewistische Oktoberrevolution entstanden war, und proklamierten die souveräne Republik Estland. Dieser Akt wurde jedoch von der deutschen Okkupationsmacht nicht anerkannt. Dennoch gilt der 24. Februar seitdem als Gründungstag der Republik Estland.

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Nach der Unabhängigkeitserklärung

Estland musste seine Unabhängigkeit jedoch gegen die deutschen Truppen und die Rote Armee verteidigen. Erst im Februar 1920, als Russland offiziell auf sämtliche territoriale Ansprüche in Estland verzichtete, galt die Unabhängigkeit als durchgesetzt.

In den ersten Jahren nach dem Erlangen der Souveränität war der estnische Staat demokratisch verfasst. Bedingt durch geringe Parlamentsmehrheiten, häufige Regierungskrisen sowie wirtschaftliche und soziale Probleme, erstarkten jedoch antidemokratische Kräfte im Land. 1934 etablierte sich ein autoritäres Regime, das allerdings nicht lange währte, denn im Juni 1940 wurde Estland völkerrechtswidrig in die Sowjetunion eingegliedert. Die Zeit der Unabhängigkeit war vorerst zu Ende.

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Erneute Unabhängigkeit 1991

Erst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, im Zuge der politischen Reformen Michail Gorbatschows, begann in der estnischen Öffentlichkeit erneut ein Diskurs über die staatliche Autonomie. Gegen den Willen der sowjetischen Führung, die an der Integrität der Sowjetunion festhielt, konnte Estland am 20. August 1991 die Unabhängigkeit wiedererlangen. Estland strebte außenpolitisch seit seiner Unabhängigkeit die Integration in die euro-atlantischen Strukturen an. Im Jahr 2004 wurde Estland Mitglied in der EU und der Nato. 2011 ratifizierte Estland einen Grenzvertrag mit Russland, der den bis dahin strittigen Grenzverlauf regelte und die Beziehungen zwischen beiden Ländern etwas entspannte. Allerdings sind im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 in Estland, ähnlich wie in Lettland und Litauen, Befürchtungen vor einem Hegemoniestreben Russlands im postsowjetischen Raum wiedererwacht.

Seit 1992 hat es in Estland durchweg Koalitionsregierungen gegeben, die sich in relativ kurzen Abständen ablösten. Doch trotz dieser wechselnden Mehrheiten ist Estland ein politisch relativ stabiles Land. Nur im Jahr 2007 kam es zu größeren Demonstrationen der russischen Minderheit in Riga (siehe Gesellschaft).

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Quellen

Garleff, Michael: Die Geschichte der baltischen Länder. Die baltischen Länder vom Mittelalter bis 1991. In: Lpb Baden-Württemberg (Hrsg.): Die baltischen Staaten. Der Bürger im Staat, Jahrgang 54 Heft 2/3 2004. S. 92-101.

Botschaft von Estland in Berlin: Homepage

 

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