Justiz und Verfassung in Russland

Sowohl Legislative als auch Judikative sind in die Machtvertikale eingebunden und unterstehen somit der Logik des Machterhalts des bestehenden Regimes. Der Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung (BTI) bewertet die Rechtsstaatlichkeit in der Russischen Föderation 2020 mit 4 von 10 Punkten, wobei das Land beim Kriterium der Gewaltenteilung besonders schlecht abschneidet (3 von 10). Auch im internationalen Rule of Law Index des World Justice Project schneidet Russland mit Rang 94 aus 128 schlecht ab, vor allem bei den Kriterien Schutz vor staatlicher Willkür und Einhaltung der Grundrechte. Hinzu kommt, dass der Justizapparat auch nach einer Reihe von Reformen seit den 1990er Jahren schlicht schlecht funktioniert. Niedrige Gehälter, komplizierte bürokratische Vorgaben und ein Berufungssystem, das Richterinnen und Richter in starke Abhängigkeit von ihren Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten und auch politischen Instanzen versetzt – all dies führt zu hoher Korruption sowie langwierigen und kostspieligen Verfahren mit ungewissem Ausgang.

Die russische Verfassung garantiert umfassende Grundrechte und Schutz vor staatlicher Willkür; darüber wacht ein Verfassungsgericht. Darüber hinaus hat sich Russland zu einer ganzen Reihe internationaler Konventionen verpflichtet, beispielsweise durch den Beitritt zum Europarat 1996 und mit der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention 1998. Damit steht es russischen Bürgerinnen und Bürgern offen, sich mit einer Klage an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden, wenn sie sich in ihren Grundrechten eingeschränkt sehen. Seit Jahren verfolgt der russische Staat die Strategie, die Urteile des EGMR zwar insofern zu erfüllen, dass Entschädigungszahlungen nahezu ausnahmslos geleistet werden. Gleichzeitig wird die eigentliche Intention der Urteile, nämlich die bestehende diskriminierende Gesetzgebung nachzubessern, gänzlich ignoriert. Diese Praxis ist durch ein Grundsatzurteil des Verfassungsgerichts 2015 auch offiziell festgeschrieben worden, wonach die russische Verfassung Vorrang vor völkerrechtlichen Bestimmungen habe. Dieses Urteil fügt sich in den allgemeinen Trend zur Abschottung ein, der vor allem seit 2014 in Russland zu beobachten ist.

Anfang 2020 kündigte Putin eine Reform der seit 1993 geltenden russischen Verfassung an. Neben dem maßgeblichen Ziel dieses Prozesses, nämlich der Aufhebung von Beschränkungen für die Amtszeit des Präsidenten und damit einer Ermöglichung von Putins erneuter Kandidatur bei der nächsten Wahl 2024, wurden eine Reihe weiterer Bestimmungen aufgenommen. Diese bilden vor allem die wichtigsten ideologischen Linien des russischen Regimes ab. Dazu gehört etwa das Verbot, die Einheit des Territoriums der Russischen Föderation infrage zu stellen – also die Annexion der Krim zu kritisieren –, Schutz der „historischen Wahrheit“, die Festschreibung der Ehe als Bund zwischen Mann und Frau oder ein neu hinzugefügter Verweis auf Gott. Eine unter Corona-Bedingungen abgehaltene Abstimmung unter der russischen Bevölkerung brachte wie erwartet die nötige Legitimation ein, sodass das Parlament im Juli 2020 die Änderungen mit einer Drei-Viertel-Mehrheit annahm. Dazu gehört etwa das Verbot, die Einheit des Territoriums der Russischen Föderation in Frage zu stellen – also die Annexion der Krim zu kritisieren –, Schutz der „historischen Wahrheit“, die Festschreibung der Ehe als Bund zwischen Mann und Frau oder ein neu hinzugefügter Verweis auf Gott. Eine unter Corona-Bedingungen abgehaltene Abstimmung unter der russischen Bevölkerung brachte wie erwartet die nötige Legitimation ein, so dass das Parlament im Juli 2020 die Änderungen mit einer Drei-Viertel-Mehrheit annahm.


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