Politisches System und aktuelle Politik in Tschechien

Die Tschechische Republik wurde 1993 gegründet und ist, neben der Slowakei, einer der beiden Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei. Die Transformation in eine liberale Demokratie erfolgte in den 90er Jahren und seither gilt Tschechien als etablierte Demokratie. Seit 2013 bestimmen zunehmend populistische Kräfte, wie die rechtspopulistische ANO um den früheren Ministerpräsidenten Andrej Babis, die rechtsextreme SPD um den Unternehmer Tomio Okamura oder die linkspopulistischen Piraten den politischen Diskurs im Land, was zu einer zunehmenden Polarisierung der tschechischen Gesellschaft führt.

Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sah sich das Land vor große Herausforderungen gestellt, welche zum einen die Aufnahme und Unterbringung der ukrainischen Flüchtlinge und zum anderen die Abhängigkeit Russlands hinsichtlich der eigenen Energie betrafen. Eine weitere Herausforderung der tschechischen Demokratie stellen die Korruptionsskandale der letzten Jahre dar. Der populistische Diskurs und die Arbeit der vergangenen Regierung um den Populisten Babis schwächten die Demokratie im Land. Die aktuellen soziale und wirtschaftliche Probleme verschärfen diese und führen zu Unzufriedenheit und Protesten  innerhalb der Bevölkerung.

 

Aktuelle Politik

Wahlen

Am 8. und 9. Oktober fanden die Parlamentswahlen 2021 statt. Stärkste Kraft wurde das Mitte-Rechts-Bündnis SPOLU mit 27,8 Prozent der Stimmen. SPOLU stellt mit dem drittplatzierten Mitte-links-Bündnis aus Piraten und Stan eine Koalitionsregierung. Mit 108 Sitzen haben sie die absolute Mehrheit. Neuer Ministerpräsident wurde der europafreundliche Spitzenkandidat der ODS Petr Fiala. Die Partei ANO von Premier Babis lag mit 27,1 Prozent und 72 Sitzen hinter dem Bündnis SPOLU. Die rechtsextreme SPD verlor leicht, konnte aber mit 9,6 Prozent als viertstärkste Kraft ins Parlament einziehen. Die Sozialdemokraten sowie die linkspopulistische Kommunistische Partei blieben beide unter der 5%-Hürde und verfehlten damit den Einzug ins Parlament. Da Babis mangels Koalitionspartner schwerlich hätte eine Regierung bilden können, hatte er angekündigt, die Amtsgeschäfte an eine neue Koalition zu übergeben. Er werde mit seiner Partei ANO in die Opposition gehen und eine neue Regierung nicht blockieren.

Im Vorfeld der Wahl war unklar, ob Ministerpräsident Andrej Babis mit seiner Partei ANO die Wahl erneut würde für sich entscheiden können. Babis war ehemals Finanzminister, Großunternehmer und gilt als einer der reichsten Männer Tschechiens. In Zeiten der Pandemie stand Regierungschef Babis mit seiner Corona-Politik in der Kritik, welches zu großen Vertrauensverlusten der Regierung führte. Auf der anderen Seite konnte Babis in den vergangenen Jahren – trotz so mancher Kritik und Affären – stets auf einen Rückhalt in großen Teilen der Bevölkerung bauen. Mit den Pandora Papers, dem publik werden fragwürdigen Offshore-Geschäften, werden Babis Geldwäsche und Steuerhinterziehungen im großen Stil vorgeworfen. Diese Enthüllungen hatten offenbar wenig Einfluss auf die Wahlentscheidung seiner Anhängerschaft. Diese folgten Babis Interpretation, bei dem Leak handle es sich um eine gegen ihn gerichtete politische Kampagne. Jedoch hatte die Veröffentlichung der Pandora Papers indirekt einen Einfluss auf den Wahlausgang. Diese boten der konservativen und liberalen Opposition eine zusätzliche Mobilisierung der Wählerschaft. So stieg die Wahlbeteiligung auf über 65 Prozent, und lag damit um 5 Prozent höher als bei der letzten Parlamentswahl.

Aus den damaligen Parlamentswahlen 2017war diePartei ANO noch als klarer Sieger hervorgegangen. Mit rund 30 Prozent der Stimmen lag sie deutlich vor den Sozialdemokraten (CSSD), die ein historisch schlechtes Ergebnis von knapp sieben Prozent erzielten. Bislang hatten die Sozialdemokraten mit der ANO als Juniorpartner die Regierung gestellt. Andrej Babis war vier Jahre Ministerpräsident Tschechiens.

Bei der Präsidentschaftswahl 2023 konnte sich der frühere NATO-General Petr Pavel im zweiten Wahlgang mit 58 Prozent gegen den früheren Ministerpräsidenten Andrej Babis durchsetzen. Petr Pavel gilt als westlich orientiert und pro-europäisch. Er ist für eine Einführung des Euro in Tschechien, hat sich außenpolitisch gegen Russlands Expansionsstreben ausgesprochen und möchte innenpolitisch gegen den Populismus im Land angehen.

Zuvor war Milos Zeman für zwei Amtszeiten Präsident Tschechiens. Zeman war schon in den Jahren 1998-2002 für die sozialdemokratische CSSD tschechischer Ministerpräsident gewesen. Er überwarf sich jedoch später mit den Sozialdemokraten und trat bei der Präsidentschaftswahl 2013 als Kandidat einer von ihm neu gegründeten Partei an. Zemans Amtsführung ist nicht unumstritten. So unterstützte Zeman nach den Parlamentswahlen 2013 den „Putsch“ von führenden Sozialdemokraten gegen Parteichef Sobotka. Auch seine kritischen Äußerungen gegenüber den Sudetendeutschen im Präsidentschaftswahlkampf wurden von Teilen der Öffentlichkeit kritisiert. Unterstützt wurde er bei seiner Kandidatur 2018 von der rechtspopulistischen SPD (dt. Freiheit und direkte Demokratie).

Opposition

Im Vorfeld der Parlamentswahl 2021 hat sich ein breites Parteienbündnis zusammengefunden, von links bis tief-konservativ, mit dem Ziel, die Regierung Babis abzulösen. Die Bürgerbewegung „Eine Million Augenblicke für die Demokratie" hat es in den letzten Jahren geschafft, Hunderttausende zu den größten Kundgebungen seit 1989 zu mobilisieren. Neben Demonstrationen setzten sie einen Diskurs in Gang und betrieben politische Aufklärung. Im ganzen Land gründeten sich Diskussionsforen, prominente Dissidenten aus der Zeit des sozialistischen Regimes schlossen sich im Geiste Vaclav Havels an. Die jüngste Wahl hat gezeigt, dass ihre Anstrengungen Früchte trugen. Ein Machtwechsel rückt in greifbare Nähe.


Informationen über den „Prager Frühling" und seine Folgen


Migration

In Bezug auf die Migrationspolitik gehört Tschechien zu den Visegrád-Staaten, welcher der Migrationswelle 2015 kritisch gegenüberstanden und ein verbindliches Quotensystem, welches die EU-Kommission zur Verteilung der Flüchtlingen vorgeschlagen hat, ablehnt. Vor allem Flüchtlingen aus muslimisch geprägten Ländern steht die Bevölkerung, welche aufgrund der postsozialistischen Vergangenheit wenig Berührungspunkte mit Personen aus anderen Kulturkreisen hatten, mehrheitlich skeptisch gegenüber. Zwar definiert sich Tschechien seit den 90er Jahren als ein Einwanderungsland, jedoch beschränkt sich diese Einwanderung vorwiegend auf Flüchtlinge aus den ehemaligen Sowjetrepubliken (Armenien, Georgien, etc.). Da der wachsenden Nation Arbeitskräfte fehlen, sollen Zuwanderer deshalb langfristig integriert werden.

Im Zuge des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine 2022 öffnet sich das Land in einer großen Welle der Hilfsbereitschaft den ukrainischen Geflüchteten. Mehrere hunderttausend Ukrainer:innen haben Zuflucht in Tschechien gefunden und wurden in das tschechische System integriert. Während in Polen vor allem private Akteure die Unterbringung und Versorgung der geflüchteten koordinierten, lief die Aufnahme in Tschechien über staatliche Strukturen. Dies ermöglichte beispielsweise eine reibungslose Unterbringung von Minderjährigen in das Bildungssystem. Auch die Existenz einer großen ukrainischen Community, welche schon vor dem Krieg im Land lebte, half bei der Integration und Akzeptanz der ukrainischen Flüchtigen. Jedoch stößt der tschechische Staat aufgrund seines prekär ausgestatteten Bildungs- und Gesundheitssystems an seine Grenzen und greift zunehmend auf die Hilfe von privaten Haushalten zurück.

Auf der europäischen Ebene hat die aktuelle Regierung von Premierminister Petr Fialaeine positive Haltung bezüglich der im Sommer 2023 diskutierten europäischen Migrationsreform. Diese besagt unter anderem, dass jedes Mitgliedsland nach dem Solidaritätsprinzip dazu verpflichtet ist, einem anderen Land durch die Aufnahme von Flüchtigen oder durch eine Ausgleichzahlung zu unterstützen. Fiala verteidigt die Reform und grenzt sich klar von der Position Polen und Ungarns ab, welche sich gegen die Reform ausgesprochen haben. Im Vorfeld hatte die rechte Opposition ein ähnliches Vorgehen wie Ungarn und Polen von der Regierung verlangt.  Eine verpflichtende Quote zur Aufnahme von Flüchtigen, welche schon 2015 im Gespräch war, schließt Fiala weiterhin aus. Im Zusammenhang mit der derzeitig erhöhten irregulären Migration, gibt es Kooperationen der tschechischen Behörden mit ihren Nachbarn Polen und Deutschland.

Wirtschaft

Wie es um die wirtschaftliche Situationin Tschechien bestellt ist, ist hier nachzulesen.

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Verfassung

Die Tschechische Republik ist eine parlamentarische Demokratie. Die heutige Verfassung wurde am 16. Dezember 1992 vom Parlament verabschiedet und trat zum 1. Januar 1993 in Kraft. Die letzte Anpassung  erfolgte im Jahre 2013. Die Prinzipien der Volkssouveränität, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit sind darin festgeschrieben und gelten als unveränderbar. Die Charta der Grundrechte – ein 1991 verabschiedetes Dokument, in dem die Menschen- und Bürgerrechte sowie die individuellen Freiheitsrechte formuliert sind – ist laut Artikel 3 der Verfassung ebenfalls „ein Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung“.  

 

Präsident

Das Staatsoberhaupt der Tschechischen Republik ist der Staatspräsident. Er wird seit einer Verfassungsänderung 2012 direkt vom Volk für fünf Jahre gewählt. Eine Person darf maximal zwei aufeinander folgende Wahlperioden dieses Amt bekleiden. Der Staatspräsident vertritt das Land nach außen und nimmt im Wesentlichen repräsentative und zeremonielle Aufgaben wahr. Er muss alle vom Parlament verabschiedeten Gesetze unterzeichnen und übt auf diese Weise eine Kontrollfunktion aus. Ein Gesetz kann er zu erneuter Beratung an das Parlament zurückweisen. Dazu verfügt er über das Recht, sich an den Parlamentssitzungen zu beteiligen. 

2013 wurde Milos Zeman als erster Präsident direkt vom Volk gewählt und 2018, nach seiner erneuten Kandidatur, wiedergewählt. Sein Nachfolger, der parteilose Petr Pavel, trat im März 2023 sein Amt an.

Regierung

Der Ministerpräsident, der stellvertretende Ministerpräsident und die Minister bilden zusammen die Regierung und stellen somit das höchste Organ der Exekutive dar.

Ein geeigneter Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten wird vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei muss dieser die Mehrheitsverhältnisse im Parlament berücksichtigen. Der Ministerpräsident wird anschließend mit der Regierungsbildung beauftragt. Die Regierung ist dem Parlament verantwortlich und kann durch ein Misstrauensvotum mit absoluter Mehrheit aller Abgeordneten (101 Stimmen) gestürzt werden.

Der aktuelle Ministerpräsident ist Petr Fiala von der liberal-konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS).
 

Parlament

Das tschechische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Abgeordnetenhaus und dem Senat.

Die 200 Mitglieder des Abgeordnetenhauses werden alle vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Sie arbeiten in Fachausschüssen, wobei sich die Ausschüsse aus Vertretern verschiedener Parteien zusammensetzen. Entscheidungen werden im Plenum getroffen.

Der Senat zählt 81 Abgeordnete. Je ein Drittel der Senatoren wird alle zwei Jahre gewählt, und zwar nach dem Mehrheitsprinzip. Die Amtszeit der Senatoren beträgt 6 Jahre. Der Senat übt im Wesentlichen beratende und kontrollierende Funktionen aus. Bei besonders wichtigen Parlamentsbeschlüssen, z.B. bei der Verabschiedung verfassungsändernder Gesetze, ist seine Zustimmung notwendig. Bei einfachen Gesetzen kann er zwar die Gesetzesvorlagen an das Abgeordnetenhaus zurückverweisen, doch können die Abgeordneten dieses Veto überstimmen.

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Quellen

Auswärtiges Amt: Tschechien

europa.eu: Tschechische Republik

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