Politisches System und aktuelle Politik in Belarus

Die Verfassung von 1994 (zuletzt 2004 geändert) konstituiert die ehemalige Sowjetrepublik Weißrussland als eine Präsidialrepublik. De facto ist die Republik Belarus jedoch eine Autokratie, in welcher der Präsident das Land mit harter Hand regiert.

Die Legitimität des autoritären und „volksnahen“ Präsidenten beruhte in Belarus - ebenso wie in Russland- über viele Jahre auf einem sogenannten „Gesellschaftsvertrag“. Der Staat sorgte für stabilen Wohlstand und Sicherheit (geringe Kriminalität und keine kriegerischen Konflikte), während die meisten Bürgerinnen und Bürger politisch inaktiv blieben und den Status quo unterstützten.  Sie waren bereit, auf politische Teilhabe und unabhängige Medien weitgehend zu verzichten. Diese Parallelexistenz von Politik und Gesellschaft - verkürzt Loyalität und Nichteinmischung gegen wirtschaftliche Verbesserungen - wird als ungeschriebener Gesellschaftsvertragbezeichnet. Sozialpolitik in sowjetischer Tradition, Volkswirtschaft mit starken Elementen einer Planwirtschaft sowie kulturelle, historische, wirtschaftliche und außenpolitische Nähe zu Russland wurden somit in Belarus über viele Jahre toleriert. So stimmte 1995 die Mehrheit in einem Referendum für die Rückkehr der sowjetischen Symbole (Wappen und Flagge) sowie für die Einführung der russischen Sprache als einer der zwei Staatssprachen ab.
Studien der vergangenen Jahre zeugen allerdings von grundlegenden Veränderungen in der politischen Kultur der belarussischen Gesellschaft. Der „Gesellschaftsvertrag“ ist durch diesen Wandel der Werteorientierungen sowie durch die wachsenden Wirtschaftsprobleme somit in Auflösung begriffen.

Aktuelle Politik

Das System Lukaschenko

Seit 26 Jahren ist Lukaschenko Präsident Weißrusslands. Nach dem Zerfall der UdSSR wurde Alexander Lukaschenko zum ersten Präsidenten der Republik Belarus gewählt. Er gilt als „der letzte Diktator“ des Kontinents, der mit harter Hand regiert, fern ab von demokratischen Strukturen und Werten, lange Zeit lavierend zwischen Europa und Russland, wobei er sich in den letzten Jahren zunehmend in Richtung Putin orientiert; dies wird besonders nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Frühjahr 2022, den Lukaschenko auf vielfältige Weise unterstützt, sichtbar.

1996 kam es zu einem umstrittenen Referendum, nach welchem Lukaschenko das Parlament auflöste und eine Verfassungsreform durchsetzte, die die Verfassung zu seinen Gunsten änderte und seine Kompetenzen massiv ausweitete. Als Antwort auf das Verfassungsreferendum entzog der Europarat Belarus ein Jahr später seinen Gaststatus. Durch eine weitere Verfassungsänderung 2004 war es Lukaschenko möglich, zukünftig auch noch bei weiteren Präsidentschaftswahlen anzutreten.

Nach den im Sommer 2020 aufkeimenden Protesten wegen der mutmaßlich gefälschten Wahl versprach Lukaschenko eine Reform der Verfassung und Wahlen. Doch getan hat sich seitdem nicht viel. Im Februar 2021 fand zwar eine Volksversammlung statt, doch die kritisieren Experten als reineSymbolpolitik. Derartige Versammlungen finden in Belarus alle fünf Jahre statt. Lukaschenko erfand sie einst, um einen Dialog mit „einfachen Menschen“ zu simulieren. De facto wurden im Rahmen der Veranstaltung stets lediglich bereits getroffene Entscheidungen durchgewunken.

Im April 2021 gab Präsident Lukaschenko bekannt, ein Dekret zu erlassen, das seine Nachfolge regeln soll.  Offenbar ist dies ein Versuch, seine Macht weiter zu festigen und die politische Herrschaft seiner Familie abzusichern. Sollte er zu Tode kommen, solle der Sicherheitsrat zukünftig über die Nachfolge entscheiden. Bislang wird der Regierungschef automatisch zum Nachfolger des Präsidenten ernannt, sollte diesem etwas zustoßen. Lukaschenkos Sohn Viktor gilt im Sicherheitsrat als äußerst einflussreich, weshalb spekuliert wird, dass Lukaschenko so den Weg für seinen Sohn bahnen möchte. Vorwand für diese verfassungswidrige Veränderung ist ein angeblich geplantes Attentat gegen Präsident Lukaschenko. Dies sei durch das gemeinsame Vorgehen von belarussischem und russischem Geheimdienst verhindert worden. Mehrere Oppositionelle seien daraufhin festgenommen worden. Im Mai hat Lukaschenko das Dekret tatsächlich erlassen und unterzeichnet.

Ende Februar 2022 hat  Lukaschenko mittels eines Referendums weitere Schritte unternommen, um seine Macht zu sichern. Nach einer Mitteilung der Wahlkommission in Minsk stimmten rund 65 Prozent der Wähler für eine Verfassungsänderung. Die Wahlbeteiligung lag demnach bei 78,63 Prozent. Die Verfassungsänderung wird Lukaschenko nun weitere Amtszeiten ermöglichen und ihm nach einem eventuellen Rückzug aus der Politik lebenslange Straffreiheit garantieren. Damit könnte sich der 67-jährige Lukaschenko noch zweimal zur Wahl stellen und im Fall von Wahlsiegen bis 2035 an der Macht bleiben.

Wahlen

Wie bereits in den Wahlen zuvor, wurde Lukaschenko auch bei der  Präsidentschaftswahl 2020abermals zum Sieger erklärt. Internationale Expertinnen und Experten bewerten Wahlen in Belarus regelmäßig als weder frei noch fair. Auch das nach dieser Wahl verkündete Ergebnis halten Beobachterinnen und Beobachter für gefälscht. Umfragen deuteten auf ein anders gelagertes Meinungsbild in Belarus hin. Die Europäische Union hat Alexander Lukaschenko wegen der wohl gefälschten Auszählung der Wahl nicht mehr als Präsidenen anerkannt. Nach der Verkündung der Wahlergebnisse nahmen die Proteste im ganzen Land  massiv zu.

Bei den Parlamentswahlen 2019waren nur wenige Kandidaten der Opposition überhaupt zugelassen. Das Parlament hat in dem autoritär regierten Land kaum politisches Gewicht. Eine richtige Regierungspartei gibt es im Parlament von Belarus nicht. Über 95 Prozent der gewählten Abgeordneten sind parteilos. Auch der Opposition gelingt kein Zusammenschluss zu einer Partei.

Opposition

Auf Parlamentsebene existiert demnach in Belarus so gut wie keine Opposition. Als es bei der Präsidentschaftswahl 2020 laut Wahlbeobachtern zu Manipulationen kam, formte sich seit Sommer 2020  ein gewaltloser Protest. Auf den Spuren der Friedlichen Revolutionen 1989 versucht die Opposition, demokratische Werte einzufordern. Aber das Machtbeharren des Diktators Lukaschenka ist so ausgeprägt, dass es sehr schwierig scheint, einen Umbruch in die Wege zu leiten. Es gehen zwar noch immer in begrenzterem Maße Menschen auf die Straßen, aber die Chancen auf Wandel sind gering. Präsident Alexander Lukaschenko hat ein Regime aufgebaut, das kaum Abweichler produziert, geschweige denn duldet.Seit den letzten Präsidentschaftswahlen in Belarus sind laut Amnesty International über 30 000 Menschen verhaftet worden.
Die Opposition in Belarus sei fürs Erste gescheitert, so sehen es auch führende Vertreter wie Maria Kolesnikowa, eine der drei Führerinnen der Opposition, die in Belarus von mutigen Frauen getragen wurde. Seit September 2020 ist Kolesnikowa in Haft, samt ihrer Anwälte; ein Jahr später wurde sie zu elf Jahren Haft verurteilt. „Es sieht im Moment so aus, als hätten wir verloren. Wir haben nicht die Mittel, um der Gewalt des Regimes gegen die Demonstranten etwas entgegenzusetzen. Aber: Unsere Strategie ist es, uns besser zu organisieren, das Regime unter ständigen Druck zu setzen, bis die Menschen wieder bereit sind, auf die Straße zu gehen“, so Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die derzeit im politischen Asyl in Litauen lebt.

Das Vorgehen gegen den Oppositionellen Roman Protasewitsch im Mai 2021 – Präsident Lukaschenko hatte ein Passagierflugzeug zum Landen gezwungen, um ihn verhaften zu können – zeigt, wie weit er bereit ist, gegen Oppositionelle sowohl im Land als auch außerhalb des Landes vorzugehen. Die EU verhängte daraufhin verschärfte Sanktionsmaßnahmen.

 

Weitere Informationen zur aktuellen Lage der Opposition und Minderheiten im Land.

Rechtsstaatlichkeit

Belarus ist ein Land, in dem Rechtsstaatlichkeit nicht mehr zu gelten scheint. Keiner der inzwischen mehr als 4000 Anzeigen wegen Polizeigewalt und Folter wurde bislang nachgegangen. Lukaschenko selbst hat im September 2020 den Staatsanwälten des Landes vor laufenden Kameras erklärt, dass Gesetze in der derzeitigen Lage Nebensache seien. Vergehen von Uniformierten werden verschleiert. Polizei und Justiz arbeiten dabei Hand in Hand.

„Zurzeit herrscht keine Rechtsstaatlichkeit. Das Einzige was gilt, sind die Interessen von Lukaschenko und seinen Anhängern. Die Gesetze richten sich nur gegen die Gegner des Systems”, so Andrei Astapovich, ein ehemaliger Ermittler der belarussischen Miliz. Er hat die Gewalt staatlicher Sicherheitskräfte in Belarus in einem Rapport aufgeschrieben und in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Die Verbrechen des Lukaschenko-Regimes müssten dokumentiert werden, um irgendwann die Täter zur Rechenschaft ziehen zu können.


Eine ausführliche Analyse zur Situation von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Belarus


Migration

Die aktuell praktizierte Flüchtlingspolitik Lukaschenkos an der belarussisschen Grenze steht international in der Kritik und provoziert Pushbacks. Belarus schleust Tausende Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Iran oder dem Irak weiter über die Grenze nach Polen und Litauen. Flüchtlinge werden so zum Spielball von Machtinteressen. Belarus' Machthaber Lukaschenko versucht Druck auf die EU auszuüben, so lange sein Land mit Sanktionen belangt werde, werde er  Migranten auf dem Weg in die EU nicht mehr aufhalten.

Darüber, ob und inwiefern Russland letztendlich verantwortlich ist für das Agieren Lukaschenkos in dieser Migrationskrise, wird viel spekuliert. Entgegen der vor allem in Polen und dem Baltikum vorherrschenden Meinung, Russland sei der Drahtzieher, gehen Außenpolitikexperten mehrheitlich davon aus, dass Lukaschenko seine eigene Strategie verfolgt und keine Direktive aus Moskau erfolgt ist, Putin das Vorgehen jedoch billige und genau beobachte, was an der EU-Ostgrenze vor sich gehe. Einen russischen Mastermind gebe es nicht, so Stefan Meister von der DGAP : „Ich halte es für eine grobe Fehleinschätzung, dass Lukaschenko vom Kreml gesteuert wird.“ Es sei Lukaschenkos Strategie, mit der er versuche, die EU zur Rücknahme von Sanktionen zu bewegen, Gesprächskanäle zu öffnen und in Verhandlungen zu treten, mit denen er sich Legitimität verschaffen wolle.

Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich in Telefonaten an Lukaschenko gewandt, um nach Auswegen zu suchen, die humanitäre Katastrophe an der Grenzezu beenden. An den Versuchen Merkels und Macrons, sowohl mit Belarus als auch mit Russland den Dialog zu suchen, hat es viel Kritik gegeben, insbesondere seitens der osteuropäischen EU-Mitglieder. Putin sei nicht die Lösung der Krise, sondern Teil des Problems, so Litauens Außenminister; er warnte bereits damals eindringlich vor einer russischen Invasion, russische Spezialeinheiten seien in Belarus nahe der Grenzen stationiert. Auch NATO-Generalsekretär Stoltenberg berichtete von beunruhigenden Militäraktionen, Putin habe ungewöhnlich viele Truppen an seine Westgrenze verlegt. Sicherheitsexperte Johannes Varwick sprach von einer Serie russischer Machtdemonstrationen und forderte auf, die Lage an der Grenze zwischen Ost und West auch einmal aus Moskauer Sicht zu betrachten. Der Westen müsse einen Ausweg finden aus der Eskalationsspirale, und Telefonieren mit Diktatoren gehöre eindeutig dazu, so seine Einschätzung.

Zwischenzeitlich hatte Belarus ein Flüchtlingslager in einer Lagerhalle im Grenzort Brusgi eingerichtet und den großen Teil der in den belarussischen Wäldern campierenden Flüchtlinge in ein Lagerhaus gebracht. Dort sollen die Bedingungen etwas besser gewesen sein,  es gebe Toiletten, Frischwasser und Lebensmittel, die Menschen dort wollten so lange ausharren, bis ihnen der Weg in die EU eröffnet werde: „Wir warten, bis Deutschland uns aufnimmt".

Weiterhin versuchten offenbar kleinere Gruppen, an unterschiedlichen Orten, die Grenze zu überqueren, Polen spricht von einer neuen Strategie seitens Belarus. Es sei „keine Frage, dass diese Angriffe von belarussischen Behörden gesteuert werden“, so Polens Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak.

Im März 2022 sollen die Übertrittsversuche und Neuankünfte von Geflüchteten an der polnisch-belarussischen Grenze nach Angaben des Auswärtigen Amtes nahezu gestoppt worden sein; dies sei zurückzuführen auf die „robuste Ansprache der Regierungen und Fluglinien in Herkunfts- und Transitstaaten, durch die EU-Kommission, den Europäischen Auswärtigen Dienst und EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, sowie auf die Sanktionen der EU“.

Nichtsdestoweniger gibt es weiterhin Berichte über Pushbacks an der polnisch-belarussischen EU-Außengrenze; die Ungleichbehandlung dieser Geflüchteten aus dem Irak, Jemen, Syrien oder Afghanistan sowie vielen afrikanischen Ländern gegenüber den ukrainischen Kriegsflüchtlingen, die aus ihrem Heimatland nach Polen fliehen und dort mit großer Solidarität empfangen werden, bietet immer wieder Anlass zu Kritik – an Polen ebenso wie an der Europäischen Union.

Aufrgund der aktuellen Entwicklungen hat die Europäische Union die Sanktionen gegen Belarus ausgeweitet.


Eine ausführliche  Analyse über die Flüchtlingspolitik in Europa


Außenpolitik

Für die EU bildet das Lukaschenko-Regime ein problematisches Hindernis auf dem Weg in Richtung Stabilität, Kooperation und Integration im gesamteuropäischen Raum. Mehrmals verhängte die EU Sanktionen gegen Belarus; jüngst wegen der Beteiligung am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Lukaschenko reagierte seinerseits mit Gegenmaßnahmen.

Union mit Russland

Seit Lukaschenko infolge der EU-Sanktionen immer näher an Russland heranrückt, wird der seit vielen Jahren diskutierte, und eigentlich auf dem Papier bereits seit 20 Jahren bestehende, gemeinsame Unionsstaat konkreter.  konkreter. Bei einem Treffen von Putin und Lukaschenko im September 2021 wurden 28 „Unionsprogramme“ ausgehandelt. Ein Comeback à la Sowjetunion solle es laut Lukaschenko jedoch nicht werden, Belarus bleibe eigenständig. Im November 2021 hat Präsident Lukaschenko nun ein gemeinsames Dekret unterschrieben. Das Dekret sieht vor, die gemeinsame Militärdoktrin zu überarbeiten, um Grundlagen für einen stärkeren Schutz der Grenzen des Unionsstaates – vor allen Dingen gegenüber der NATO – zu schaffen.

Am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Frühjahr 2022 sei Belarus insofern vollumfänglich beteiligt, als Lukaschenko „für die russischen Streitkräfte sein Territorium und seine Infrastruktur, seine Kliniken zur Versorgung der Verwundeten aus der russischen Armee zur Verfügung“ stelle, sagt der belarussische Politikanalyst Valerij Karbalewitsch. Für den Kreml sei die Hilfe, die „Belarus in diesem Konflikt auf informationeller, diplomatischer und auch militärischer Ebene geleistet hat“ wichtig. Sogar Raketenangriffe auf die Ukraine erfolgten mutmaßlich aus Belarus; zugleich scheint Lukaschenko vor einem Kriegseintritt seiner Truppen zurückzuschrecken. Dafür gibt es offenbar weder in der Bevölkerung noch im Militär allzu großen Rückhalt. Wiederholt ist auch von Sabotageakten auf für russische Truppen strategisch wichtige Bahnstrecken durch belarussische Partisanen berichtet worden. Die zunehmende Abhängigkeit Lukaschenkos von Putin – auch im Hinblick auf den Machterhalt im eigenen Land – scheint ihm kaum Spielraum für eigene Entscheidungen zu lassen. Nach seinem jüngsten Treffen mit dem Kremlchef im April 2022 betont er indessen, man sei „nicht dumm“ und bei der Verbindung zwischen Russland und Belarus handele es sich um „die Einheit zwischen zwei unabhängigen Staaten“.


Ausführliche Informationen über die Außenpolitik und  Beziehungen zur EU und zu Russland


Corona-Krise

Wie andere populistische Staatschefs ist Lukaschenkos Corona-Strategie von Ignoranz, Verharmlosung und Unterschätzung der Gefährlichkeit des Virus gekennzeichnet. Bis zu einem gewissen Grad scheint er die Gefahr zwar erkannt zu haben, war jedoch bewusst auf eine Vermeidung eines Lockdowns bedacht. Standen doch im Sommer 2020 die Wahlen an und war das Land wirtschaftlich bereits vor der Pandemie in einem schlechten Zustand.  Lukaschenkoneko rühmte sich, das aus seiner Sicht wichtigste Merkmal von Covid-19  dank seiner Intuition und Erfahrung früh erkannt zu haben: Das Coronavirus sei in erster Linie „eine Krankheit im Kopf“, gegen die etwa Käse helfen könne. Er pries Alkohol, Sauna, Landarbeit und Sport als wirksame Heilmittel gegen das Coronavirus an. Gleichzeitig schreckte er nicht vor der offenen Verhöhnung von Corona-Todesopfern zurück, die die Selbstisolierungsempfehlungen des Präsidenten und des Gesundheitsministeriums missachtet haben sollen.
Das Rätsel des „belarussischen Sonderwegs“ bei einer angeblich niedrigen Sterberate ließ sich Anfang September 2020 auflösen, nachdem die unabhängige Online-Zeitung Nascha Niwa die in Belarus nicht veröffentlichten demografischen Daten aus dem zweiten Vierteljahr 2020 ausgewertet hatte. Dabei kam heraus, dass in Belarus einige Tausend Menschen mehr starben, als es in letzten fünf Jahren durchschnittlich in diesem Zeitraum der Fall war.

Aktuelle Studien

Die letzte „World Values Survey”  Studie attestierte einen Rückgang von Werten, die mit Stabilität und Erhalt des Status quo verbunden sind, gegenüber den Werten von Entwicklung und Eigenständigkeit (im Verlauf von 2010 bis 2020). Andere Studien (2018–2019) weisen einen nachhaltigen Rückgang des Paternalismus (Bevormundung) in allen Bereichen der belarussischen Gesellschaft aus. 2016 wünschten sich doppelt so wenig Belarussinnen  und Belarussen die Aufrechterhaltung der aktuellen Situation im Land als 2010 (24,7% vs. 48,3%). In den letzten 5 bis 7 Jahren entwickelten sich in Belarus neue kulturelle, soziale, ökologische und urbane Initiativen sowie Crowdfunding-Kampagnen. Durch diese scheinbar nichtpolitischen Aktivitäten erwuchs bürgerschaftliches Engagement. Die neue Generation sorgt also für eine gewisse Desowjetisierung der Gesellschaft, die vom Staat allerdings nicht in der Form wahrgenommen und akzeptiert wird.

Der Anteil der Anhängerinnen und Anhänger Lukaschenkos unter der älteren Bevölkerung, der Landbevölkerung und den „normalen“ Bürgerinnen und Bürgern sank beispielsweise von 68% im Jahr 2006 auf 32% im Jahr 2016 – eine Halbierung innerhalb von zehn Jahren. Die  Proteststimmung hingegen nahm zu.  So kam es 2017 zu landesweiten Protesten gegen eine jährliche Arbeitslosensteuer. Über ein, zwei Jahre (seit 2018) versammelten sich in Brest wöchentlich Menschen, um gegen eine offen kundig gesundheitsschädliche Batteriefabrik in der Nähe der Stadt zu protestieren. 2019 beteiligten sich mehrere Bürgerinitiativen aktiv an den Parlamentswahlen, was früher in Belarus kaum vorkam. Die Präsidentschaftswahlen 2020 wurden schließlich von Massenprotesten begleitet.


Nach oben

Verfassung

Mit der Auflösung der Sowjetunion erlangte Weißrussland 1991 seine staatliche Unabhängigkeit. Die Verfassung der Republik Weißrussland verabschiedete der Oberste Sowjet am 15. März 1994. Sie sieht ein präsidiales Regierungssystem vor und verpflichtet den Staat unter anderem zu Neutralität und zum Verzicht auf Atomwaffen.

Eine Änderung der Verfassung erreichte Präsident Lukaschenko nur zwei Jahre später. 1996 hielt er ein Referendum darüber ab, dem Präsidenten mehr legislative Rechte zukommen zu lassen. Kurz darauf trat die neue Verfassung in Kraft. Daraufhin wurde der Oberste Sowjet aufgelöst und eine Nationalversammlung einberufen – ohne Wahlen.

Durch eine weitere Verfassungsänderung 2004 war es Lukaschenko möglich, auch noch bei den folgenden Präsidentschaftswahlen anzutreten.

Weißrussland ist gegenwärtig das einzige europäische Land, in dem noch die Todesstrafe praktiziert wird.

Präsident

Der Präsident der Republik ist Staatsoberhaupt, Garant der Verfassung und der Zivilrechte. Laut dem Grundgesetz verkörpert er die Einheit des Volkes, garantiert die Durchführung der Innen- und Außenpolitik des Staates und vertritt die Republik Belarus in ihren Verhältnissen mit anderen Staaten und internationalen Organisationen.

Der Präsident trifft Maßnahmen zur Sicherung der Souveränität der Republik Belarus, ihrer Nationalsicherheit und territorialer Integrität. Einen wichtigen Schritt zur Festigung von Lukaschenkos politischer Basis bildete die Durchführung eines massiv manipulierten Referendums im November 1996. Auf diese Weise hat Lukaschenko seine Machtbefugnisse erweitert und das Prinzip der Gewaltenteilung weitgehend aufgehoben.

Durch eine Verfassungsänderung 2004 war es Lukaschenko möglich, auch bei den folgenden  Präsidentschaftswahlen nochmals anzutreten. Die Proteste, die die Wahlen begleiteten, wurden gewaltsam niedergeschlagen. Die Wahlen hatten laut Beobachtern vor Ort nicht den OSZE-Standards entsprochen.

 

Regierung

Die Regierung von Belarus wird vom Ministerrat der Republik Belarus wahrgenommen. Die Regierung setzt sich zusammen aus dem Ministerpräsidenten, den stellvertretenden Ministerpräsidenten, den Ministern, dem Leiter der Präsidialverwaltung und den Vorsitzenden der Staatsausschüsse, welche zwar keine Minister sind, aber der Regierung trotzdem angehören.

Der Ministerpräsident wird vom  Präsidenten mit Zustimmung des Repräsentantenhauses, dem Unterhaus von Belarus, ernannt.

Parlament

Das Parlament setzt sich aus zwei Kammern, der Repräsentantenkammer und dem Rat der Republik, zusammen. Die Repräsentantenkammer besteht aus 110 Abgeordneten. Der Rat der Republik ist die Kammer der territorialbezogenen Vertretung. Parlamentswahlen finden alle vier Jahre statt.

Gemäß der Verfassung darf die Repräsentantenkammer den Bericht des Premierministers über den Maßnahmenplan der Regierung anhören, eine Misstrauenserklärung gegenüber der Regierung abgeben, sowie auf Initiative des Premierministers die Frage nach dem Vertrauen zur Regierung behandeln. Die Repräsentantenkammer setzt die Präsidentenwahl an und nimmt den Rücktritt des Präsidenten entgegen. Jede Gesetzesvorlage wird, soweit durch die Verfassung nichts anderes vorgeschrieben wird, zunächst in der Repräsentantenkammer und anschließend im Rat der Republik behandelt.

Die Verfassungsrevision von 1996 führte zu einer eindeutigen Beschneidung der Kompetenzen der Repräsentantenkammer. Seitdem ist die parlamentarische Kontrollfunktion gegenüber der Regierung stark begrenzt, und die Abgeordneten haben kaum mehr Einfluss auf die Ernennung oder Entlassung der Regierung durch den Präsidenten.

Nach oben

Nach oben

Cookieeinstellungen
X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen auf unseren Websites Cookies. Einige sind notwendig, während andere uns helfen, eine komfortable Nutzung diese Website zu ermöglichen. Einige Cookies werden ggf. für den Abruf eingebetteter Dienste und Inhalte Dritter (z.B. YouTube) von den jeweiligen Anbietern vorausgesetzt und von diesen gesetzt. Gegebenenfalls werden in diesen Fällen auch personenbezogene Informationen an Dritte übertragen. Bitte entscheiden Sie, welche Kategorien Sie zulassen möchten.