Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Bulgarien


Informationen zum EU-Rechtsstaatsmechanismus und zum Artikel-7-Verfahren.


Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehen in Bulgarien – wie auch in anderen Teilen Mittel- und Osteuropas – immer wieder im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Regierung Bulgariens versucht seit Jahren, Einfluß auf die Presse  zu nehmen, Aber auch das Verhältnis zwischen Justiz und Politik ist problematisch. Damit wird die Gewaltenteilung und das Gleichgewicht der Kräfte im Staat bedroht.

Aufgrund der zunehmenden Bedrohung rechtsstaatlicher Prinzipien in einigen EU-Staaten hat die EU jüngst schärfere Mechanismen zur Überprüfung und Ahndung von Verstößen in die Wege geleitet. Laut EU-Verträgen stehen die Mitgliedstaaten in der Pflicht, für die Unabhängigkeit der Justiz und eine freie Presse in ihren Ländern zu sorgen. Ebenso misst sich der Rechtsstaat auch am Umgang mit Minderheiten sowie dem Vorhandensein einer funktionsfähigen politischen Opposition.

So haben sich das EU-Parlament mit dem Rat im Dezember 2020 auf einen  neuen  "Mechanismus zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit" geeinigt, der es der EU zukünftig erlauben soll, Zahlungen an Mitgliedstaaten auszusetzen, wenn diese gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben.  Der ebenfalls Ende 2020 neu eingeführte Bericht über die Rechtsstaatlichkeit soll mit jährlichen Berichten dazu beitragen, dass zukünftig maßgebliche  Entwicklungen auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten regelmäßig beobachtet werden.


In folgender Analyse betrachten wir die Situation in Bulgarien.  Zur Lage von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Russland, Belarus,Polen, Ungarn undRumänien haben wir jeweils eine gesonderte Analyse erstellt.


Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Die Anfänge

Der moderne bulgarische Staat hat seine Wurzeln im Jahr 1878 als die türkischen Osmanen eine schwere Niederlage im russisch-türkischen Krieg erlitten und russische Truppen Bulgarien, nach fast 500 Jahren türkischer Herrschaft, befreiten. Im Ersten Weltkrieg nahm Bulgarien auf deutscher Seite teil und erlitt am Ende des Krieges territoriale Verluste.  Auch in Bulgarien gelang es nicht, eine demokratische Ordnung aufzubauen. Der erste Premier nach dem Krieg, Stambolijski, der als Führer der Bauernpartei eine teils populistische, teils progressive Politik verfolgt hatte, wurde bei einem Putsch rechtsnationalistischer Militärs 1923 ermordet.  Ein Aufstand der Anhänger der Bauernpartei gegen die Militärs wurde niedergeschlagen und forderte tausende Tote. Es begann eine Zeit massiver Unterdrückung der politischen Opposition.

Nach einer zeitweiligen Liberalisierung kam es 1934 zu einem erneuten Putsch des Militärs. In der Folge gewann der bulgarische König, Zar Boris der Dritte, immer stärker die politische Kontrolle. Er errichtete eine autoritäre Herrschaft. Boris löste zwar nicht das Parlament auf, aber schränkte seine Bedeutung ein. Die Opposition und die politischen Parteien wurden marginalisiert. Bulgarien lehnte sich nun immer stärker an das nationalsozialistische Deutschland an. Bulgarien erklärte schließlich 1941 als Verbündeter Deutschlands England und Frankreich den Krieg, vermied aber eine Kriegserklärung gegen die Sowjetunion.

Gegen Ende des Krieges „wechselte Bulgarien die Seiten“ und verbündete sich mit der Sowjetunion. Bulgarien geriet nun, ebenso wie Polen und Ungarn, unter sowjetische Kontrolle.

Betrachtet man die Entwicklung in Bulgarien wie auch in Ungarn und Polen seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, so fällt auf, dass sie nicht in der Lage waren, stabile demokratische Verhältnisse aufzubauen. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde Ungarn schließlich autoritär regiert,. Presse- und Meinungsfreiheit waren seit 1918 nie wirklich garantiert und die Unterdrückung der politischen Opposition begann schon in den zwanziger Jahren.

In Bulgarien wurde diese Entwicklung vor allem durch die, aufgrund der Gebietsverluste nach dem Ersten Weltkrieg, starken revanchistischen Strömungen begünstigt. Gemeinsam war allen drei Staaten auch ein starker Antisemitismus. Auch ein starker Antisemitismus war erkennbar. Zugleich standen die Kirchen ganz überwiegend an der Seite der nationalistischen Kräfte, insbesondere die orthodoxe Kirche Bulgariens verstand sich stets als Staatskirche.

Die autoritären Strukturen der Zwischenkriegszeit könnten auch eine Erklärung dafür sein, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sowohl in Bulgarien als auch in  Ungarn und Polen relativ schnell kommunistische Systeme etabliert werden konnten (und demokratische Defizite bis heute fortbestehen). Es gab keine Bürgergesellschaft, die hätte ernsthaften Widerstand leisten können.

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Die kommunistische Zeit

Bei der Errichtung des kommunistischen Herrschaftssystems leistete die stalinistische Führung der Sowjetunion aktive Hilfestellung. Unter dem Druck Moskaus etablierte sich die kommunistische Partei als alleinige Führungsmacht.  Die bürgerlichen Parteien wurden, nach einer kurzen Übergangsphase, verboten. Die sozialdemokratischen Parteien wurden zunehmend an den Rand gedrängt und danach zur Zwangsvereinigung mit den kommunistischen Parteien gezwungen. Die Unzufriedenheit mit dem sehr repressiven stalinistischen Herrschaftssystem war jedoch groß.

Während es also in Ungarn und Polen nach 1956 zu Zugeständnissen der kommunistischen Führung an die Bevölkerung kam und die Zeit der schlimmsten Repression beendet war, regierte in Bulgarien Parteichef Todor Schiwkow weiter autoritär. Vehement und brutal wurde die  Opposition unterdrückt und die Meinungsfreiheit eingeschränkt.

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Zeitenwende: Das Ende des kommunistischen Systems

Das Jahr 1989 markierte für Bulgarien wie auch für die umliegenden Staaten einen tiefen Einschnitt. In Bulgarien vollzog sich der Übergang zur Demokratie jedoch etwas später als in den meisten anderen Ostblockstaaten der Systemwechsel schon vollzogen war. Die demokratische Wende in Bulgarien begann erst am 10. November 1989, einen Tag nach dem Fall der Berliner Mauer. Die „Palastrevolution" verlief im Stillen und ohne viel Aufhebens . Der langjährige Machthaber und Generalsekretär der Kommunisten, Todor Schiwkow, wurde von seiner eigenen Partei gestürzt. Sein Nachfolger Petar Mladenow scheiterte bei dem Versuch, die Machtstellung der kommunistischen Partei durch einige Zugeständnisse an die Opposition zu erhalten. Auf Druck der Opposition kam es 1990 zu freien Wahlen.

Zwar teilen Polen, Ungarn und Bulgarien eine gemeinsame kommunistische Vergangenheit, doch Bulgarien hat traditionell eine weniger starke Beziehungen zu Westeuropa. Das Land konnte sich schon seit jeher gegen westliche Einflüsse viel besser abschotten.

Schwieriger Weg in die Demokratie - Erstarken des Nationalismus

In Bulgarien blieb die kommunistische Partei auch nach der Wende sehr stark. Zwar hatte sie sich mittlerweile in Bulgarische Sozialistische Partei umbenannt, doch sie war nur mäßig reformorientiert.  Schon die ersten freien Parlamentswahlen 1990 konnten die Sozialisten für sich entscheiden. Bis 1997 dominierten die Sozialisten die bulgarische Politik. Von 1997 bis 2005 stellten zwar bürgerliche Parteien die Regierung, doch 2005 kamen die Sozialisten wieder für mehrere Jahre an die Regierung. Seit 2014 bildet die konservativ-national ausgerichtete Partei „Gerb“ zusammen mit dem zentristisch-konservativen „Reformblock“ eine Minderheitsregierung.

Die politische Situation in Bulgarien ist seit der Wende eher instabil. Das Land durchlebte mehrfach wirtschaftliche Krisen, die Bevölkerungszahl ist stark rückläufig, vor allem ländliche Regionen sind verarmt und die Korruption hält Wirtschaft und Politik in Griff. Auch der EU Beitritt 2007 hat an diesen grundlegenden Problemen des Landes wenig geändert.  Dies sind schlechte Grundlagen für Pressefreiheit und eine rechtsstaatliche Entwicklung des Landes.

Auffallend ist, dass die bürgerlichen Parteien, die in der Wendezeit in den Ostblockstaaten die Opposition gegen die Kommunisten angeführt haben, sich seitdem entweder aufgelöst oder vollkommen an Bedeutung verloren haben. Stattdessen wird jetzt die Politik in  Bulgarien wie auch in Polen und Ungarn von national-populistischen europakritischen Parteien dominiert. Auch in der aktuellen Politik gegenüber der EU gibt es Gemeinsamkeiten der drei Staaten, wobei die Kritik an Brüssel in Warschau und Budapest schärfer ausfällt als in Sofia.

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Pressefreiheit

In Bulgarien wird die Pressefreiheit besonders durch die geschäftlichen Interessen von reichen Geschäftsleuten und Oligarchen eingeschränkt. Diese kaufen sich oft in Verlage oder Fernsehsender ein. Dabei steht nicht das verlegerische Interesse im Vordergrund, sondern der Wille durch die Berichterstattung Druck auf die Politik und die öffentliche Meinung ausüben zu können.

Da in Bulgarien relativ viele Zeitungen miteinander konkurrieren und die Auflagenzahlen meist eher gering sind, ist die wirtschaftliche Abhängigkeit der Verlage von Werbeeinnahmen sehr groß. Deswegen wird in der Berichterstattung viel Rücksicht auf Werbekunden genommen. Dies gilt auch für den Staat, der der größte Werbekunde in Bulgarien ist. In den vergangenen Jahren haben die Regierungen meist nur an Zeitungen Aufträge vergeben, die positiv über sie schreiben. Dadurch wächst der Druck auf die Journalisten im Sinne ihrer Auftraggeber zu berichten. Dies wird durch die Tatsache verstärkt, dass die wirtschaftliche Situation für Journalisten in Bulgarien oft schwierig ist.

Wirkliche journalistische Unabhängigkeit steht in Bulgarien oft nur auf dem Papier. Damit ist die Glaubwürdigkeit des Journalismus bei der Bevölkerung sehr gering. Insgesamt sind die Eingriffe in die Pressefreiheit in Bulgarien eher wirtschaftlich denn politisch motiviert. Dies macht die Situation der Presse aber keinesfalls besser als in Polen und Ungarn. „Reporter ohne Grenzen“ beklagt, dass in Bulgarien die Presse besonders stark von Oligarchen dominiert wird und dass es keine Transparenz über die Medienbesitzer gibt.  Die Regierung erkauft sich über staatliche Zuschüsse loyale Berichterstattung. Recherchen zu heiklen Themen wie Korruption sind deshalb selten. Unabhängige Medien werden durch Justizschikanen wie Steuerverfahren, Verleumdungsklagen oder horrende Bußgelder drangsaliert, kritische Medienschaffende auch durch Schmutzkampagnen und Gewalt. Besonders gefährlich leben Journalistinnen und Journalisten, die über Korruption oder zur Veruntreuung von EU-Geldern berichten. Ihre schwierige wirtschaftliche Situation macht sie noch erpressbarer als ihre Kolleginnen und Kollegen in Ungarn und Polen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Bulgarien 2020 auf Platz 111 angelangt. Zum Vergleich: Deutschland liegt auf Platz 11.

Reporter ohne Grenzen: Rangliste der Pressefreiheit 2020

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Justiz und Verfassung

Der Judikative kommt neben Exekutive und Legislative in der Demokratie eine besondere Bedeutung zu. Daher sind Eingriffe in die Judikative auch besonders problematisch. In autoritären Staaten ist die Judikative nicht unabhängig vom Staat und der politischen Macht.

In Bulgarien sind die Konflikte zwischen der Exekutive und der Judikative nicht mit denen in Polen und Ungarn vergleichbar. Dies liegt vor allem an den vergleichsweise instabilen politischen Mehrheitsverhältnissen in Bulgarien seit dem Ende des Kommunismus. Daher verfügte keine der Regierungen über ausreichenden Rückhalt im Parlament, um die Rechte des Verfassungsgerichtes zu beschneiden oder die Verfassung zu ändern.

Aber auch in Bulgarien ist das Verhältnis zwischen Justiz und Politik problematisch. So gibt es immer wieder den Versuch vonseiten der Politik Gerichtsentscheidungen im eigenen Sinn zu beeinflussen.

So hat zum Beispiel der frühere bulgarische Wirtschaftsminister Owscharow versucht, Ermittlungen gegen einen Freund zu unterlaufen. Gegen den umstrittenen Medienoligarchen Peevski, der als einer der reichsten Männer Bulgariens gilt, weigerte sich der Generalstaatsanwalt Zazarow eine Untersuchung einzuleiten.  Dabei gibt Peevski dem Finanzamt nur ein sehr bescheidenes Vermögen an, sodass der Verdacht der Steuerhinterziehung naheliegt. Doch es ist in Bulgarien bekannt, dass Peevski großen Einfluss auf die Staatsanwaltschaft und die Steuerbehörden hat.

Die EU überprüft regelmäßig den Stand bei der Korruptionsbekämpfung und Unabhängigkeit der Justiz.  Die ehemaligen EU-Justizkommissarin Vera Jourová sprach sich 2019 dafür aus, weiter an einer Überwachung Bulgariens festhalten und das Land im Rahmen des so genannte Kooperations- und Verifizierungsmechanismus (CVM) überprüfen. Die Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Justiz ist in Bulgarien laut einer Eurobarometer- Umfrage 2019  die drittniedrigste in der EU. Die Menschen hätten einen großen Mangel an Vertrauen in die Justiz.

 

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Lage der Opposition und Umgang mit Minderheiten

Die Situation der politischen Opposition sowie der Umgang mit Minderheiten sind wesentliche Merkmale für eine funktionsfähige Demokratie. Werden ihre politischen Rechte beschnitten, ist dies ein Hinweis für Defizite in der demokratischen Entwicklung eines Landes.

Seit dem Ende des kommunistischen Systems ist es in Bulgarien keiner Partei gelungen eine ähnlich dominierende Stellung zu erlangen, wie sie aktuell Fidesz in Ungarn und die PiS in Polen haben. Doch die Schwäche der bulgarischen Parteien könnte in Zukunft Kräften den Weg bereiten, die dem demokratischen System ablehnend gegenüberstehen.

Die bulgarische Nationalitätenpolitik ist vor allem durch die Beziehungen zu den Türken, der größten ethnischen Minderheit des Landes, gekennzeichnet. Die türkische Minderheit war in der kommunistischen Zeit einer Politik der „Zwangsbulgarisierung“ ausgesetzt. So wurden viele Türken gezwungen bulgarische Namen anzunehmen. Mit dem Übergang zur Demokratie organisierte sich die türkische Minderheit und demonstrierte für die Aufhebung der Gesetze zur „Zwangsbulgarisierung“. Im Dezember 1989 kam die Regierung den Forderungen nach und hob die Gesetze auf.

Unter ihrem Führer Ahmed Dogan verfolgten die bulgarischen Türken lange Jahre einen sehr pragmatischen Kurs. Dogan und seine Partei DPS waren mehrfach in Korruptionsskandale verwickelt, aber trotzdem an mehreren Regierungen beteiligt. Einzelne ihrer Forderungen wie die Einführung des Türkischen an Schulen in überwiegend von Türken besiedelten Regionen, stießen allerdings auf großen Widerstand, da viele Bulgaren eine Privilegierung des Türkischen befürchteten.  Insgesamt hat sich aber die Situation der türkischen Minderheit in den letzten fünfundzwanzig Jahren deutlich verbessert. Es gibt keine grundsätzliche Diskriminierung und Ausgrenzung der Türken durch den bulgarischen Staat.

Durch die Flüchtlingsströme, die seit dem Sommer 2015 versuchen durch die Balkanländer nach Westeuropa zu gelangen, ist die historisch bedingte Abwehrhaltung vieler Bulgaren gegenüber Muslimen wieder stärker geworden. Bulgarien befand sich über 400 Jahre unter türkisch-osmanischer Herrschaft. Bulgarien ist zwar weit weniger als Griechenland oder Mazedonien von der Flüchtlingsbewegung betroffen, doch in den südlichen Regionen des Landes haben sich einige Bürgerwehren gegründet, die Flüchtlinge am Grenzübertritt nach Bulgarien hindern wollen.

Die Situation der Roma ist in Bulgarien ähnlich problematisch wie in Ungarn. Es gibt eine deutliche Benachteiligung der Roma im Bildungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt. Die Roma sind, anders als die bulgarischen Türken, auch kaum politisch organisiert. Ihr Einfluss in der Gesellschaft, und somit auch die Möglichkeit ihre Lage zu verbessern, ist gering.

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Literatur

 „Die Medien in Osteuropa. Mediensysteme im Transformationsprozess.“ Stegherr, Marc.  Wiesbaden, 2012.

„Kleines Handbuch Bulgarien. Politik, Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft.“  Schmitt, Robert. 2012.

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