Geschichte Serbien


Weitere Informationen zu den  Jugoslawienkriegen auf dem Balkan


Frühere Geschichte

Die Ursprünge der serbischen Staatlichkeit gehen auf das 10. und 11. Jahrhundert zurück. Unter der Dynastie der Nemanjiden erlangte Serbien im 13. und 14. Jahrhundert die Vorherrschaft auf dem Balkan. Mit dem Nemanjidenfürst Stefan IV Dusan (1331-1355) erreichte Serbien den Höhepunkt seiner Machtentfaltung und beherrschte ein Gebiet, das von Belgrad bis ins mittlere Griechenland reichte. 1346 ließ sich Dusan zum Zaren krönen. Unter seinen Nachfolgern begannen der Niedergang Serbiens und die politische Zersplitterung des Landes.

Im 14. Jahrhundert drangen die türkischen Osmanen immer stärker auf dem Balkan vor. Nach der Schlacht der serbischen Truppen gegen die Osmanen 1389 auf dem Amselfeld (im heutigen Kosovo gelegen) gelangte ganz Serbien unter türkische Herrschaft. Nach anfänglicher religiöser Toleranz wurde die politische und religiöse Unterdrückung der Serben durch die Osmanen zunehmend stärker. Die Türken beherrschten Serbien fast fünf Jahrhunderte. Nach zwei blutigen Aufständen in den Jahren 1804-1813 und 1815 und einer nachfolgenden Autonomie verließen 1867 die letzten türkischen Truppen Serbien.

Die Unabhängigkeit Serbiens 1878

Nachdem das russische Zarenreich im Krieg gegen die Osmanen gewonnen hatte, erkannten die Großmächte auf dem Berliner Kongress 1878 die Unabhängigkeit Serbiens an. Im Jahr 1882 wurde das Fürstentum Serbien zum Königreich. Allerdings war der neue serbische Staat politisch nicht sehr stabil. So kam es 1903 zur Ermordung des Königs Aleksandar Obrenovic durch Offiziere der serbischen Armee. Sein Nachfolger verfolgte eine stark an Russland angelehnte Politik. So annektierte Österreich-Ungarn im Jahr 1908 Bosnien, wo eine große serbische Minderheit lebte. Dies führte in Serbien zu einem Erstarken nationalistischer Strömungen. 1912 kam es zum Krieg der Balkanländer Serbien, Bulgarien, Griechenland und Montenegro gegen die Türken, die schnell besiegt wurden (erster Balkankrieg). Anschließend kam es bei der Aufteilung der türkischen Balkangebiete zum Konflikt Bulgariens mit Serbien, Griechenland und Rumänien, der zur Niederlage Bulgariens im zweiten Balkankrieg führte.

Serbien und der Erste Weltkrieg

Die beiden Kriege hatten die Position Serbiens auf dem Balkan gestärkt (das Kosovo und ein großer Teil Makedoniens wurden serbisch). Während die serbische Regierung gegenüber Österreich-Ungarn weiterhin eher vorsichtig agierte, forderten nationalistische Gruppen in Serbien einen Krieg gegen die Habsburgermonarchie. Ihr Ziel war es, die Kroaten, Slowenen und Bosnier von der österreichischen Herrschaft zu befreien und sie mit den Serben in einem südslawischen (jugoslawischen) Staat zu vereinen. Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand im Juni 1914 durch den serbisch-bosnischen Nationalisten Gavrilo Princip führte zum offenen Konflikt Österreich-Ungarns mit Serbien. Die Regierung in Wien stellte Serbien ein Ultimatum, das von Serbien nicht angenommen wurde. Daraufhin erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Durch die nachfolgenden Kriegserklärungen zwischen den Großmächten begann der Erste Weltkrieg, beim dem Serbien auf Seiten der „Entente“ (Russland, Frankreich, Großbritannien und Italien) gegen die „Mittelmächte“ Deutschland, Österreich-Ungarn und Türkei kämpfte.

Ein erster Angriff österreichischer Truppen auf Serbien 1914/15 war wenig erfolgreich. Im Oktober 1915 begann jedoch ein neuer Angriff, bei dem Österreich-Ungarn von deutschen und bulgarischen Truppen unterstützt wurde (Bulgarien war 1915 auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg eingetreten). Die serbische Armee wurde zurückgedrängt und zog sich unter großen Verlusten, an die Adria zurück, von wo sie in das verbündete Griechenland evakuiert wurde. Serbien geriet unter die Kontrolle der siegreichen deutschen, österreichischen und bulgarischen Truppen, wobei alle drei ein hartes Besatzungsregime errichteten. Erst als sich der Krieg im Herbst 1918 dem Ende zuneigte, konnte die serbische Armee - von Frankreich und England unterstützt - eine Großoffensive beginnen und Serbien befreien. Serbien hatte mit ungefähr 1,1 Millionen Kriegstoten, die in Relation zur Bevölkerungszahl höchsten Verluste von allen kriegsteilnehmenden Ländern.

Der Staat der Serben, Kroaten und Slowenen

Die serbische Regierung forderte  bei den Friedensverhandlungen in Versailles angesichts der hohen Opferzahlen die Einrichtung eines Staates für die südslawischen Völker. Im Dezember 1918 wurde der SHS Staat („Staat der Serben, Kroaten und Slowenen“, der aber auch Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und das Kosovo einschloss) ausgerufen: ein Königreich mit stark zentralistischer Verfassung. Im SHS Staat dominierten die Serben in Politik, Verwaltung und Militär. Dagegen formierte sich in den nicht serbischen Landesteilen Widerstand. Dieser wurde auch durch die im ganzen Land stark verbreitete Armut und die schlechten sozialen Bedingungen verstärkt. Im Jahr 1929 löste König Aleksandr das Parlament auf, etablierte eine autoritäre Herrschaft und benannte den Staat um in „Königreich Jugoslawien“. Der Widerstand gegen die serbische Dominanz radikalisierte sich durch diesen Schritt und 1934 wurde der König bei einem Attentat kroatischer und mazedonischer Nationalisten getötet.

Serbien und der Zweite Weltkrieg

Die jugoslawische Regierung trat 1941 dem vom nationalsozialistischen Deutschland dominierten Dreimächtepakt bei. Aus Widerstand gegen diese Entscheidung setzten serbische Offiziere wenige Tage später die Regierung ab, woraufhin deutsche Truppen in Jugoslawien einmarschierten und die deutsche Luftwaffe Belgrad bombardierte. Bereits elf Tage später kapitulierte die jugoslawische Armee. Deutschland besetzte Serbien und die verbündeten Italiener Dalmatien, während die Ungarn in die (nordserbische) Vojvodina einrückten und die Bulgaren in Ostmakedonien. Kroatien wurde unabhängig -  stand allerdings unter deutscher und italienischer Kontrolle. Die Deutschen verfolgten in Serbien eine Politik der ökonomischen Ausbeutung und eine Umsetzung der NS-Rassenpolitik. Unter dieser hatten vor allem Serben und Juden zu leiden, von denen zehntausende ermordet wurden. Dagegen formierte sich zwar Widerstand. So kämpften sowohl die nationalistischen, königstreuen Tschetnik-Verbände als auch kommunistische Partisanen unter Führung von Josip Tito gegen die Deutschen. Doch häufig kämpften sie auch gegeneinander.

Jugoslawien unter Tito

Gegen Ende des Krieges wurden die kommunistischen Kräfte zunehmend stärker. Den kommunistischen Partisanen gelang es, Belgrad zu erobern und mit Unterstützung sowjetischer Einheiten bis Mai 1945 ganz Serbien und Jugoslawien zu besetzen. Ebenso wie in den Nachbarstaaten Ungarn, Rumänien und Bulgarien etablierte sich in Jugoslawien ein kommunistisches System unter sowjetischer Kontrolle. Doch bereits 1948 kam es zum Bruch zwischen Tito und Stalin. Jugoslawien verfolgte von nun an eine von der Sowjetunion unabhängige Entwicklung und wurde zu einem führenden Mitglied der „blockfreien“ Staaten, die eine neutrale Politik zwischen der NATO und dem sowjetisch dominierten Warschauer Pakt, vertraten. Im Inneren etablierte Tito die Politik der „Arbeiterselbstverwaltung“ und betrieb eine Föderalisierung des Staates. Das System Jugoslawiens war politisch und wirtschaftlich liberaler als in den Staaten des „Ostblocks“ (der sowjetischen Einflusssphäre).

Das Regime Milosevic und die Jugoslawienkriege

Nach dem Tod Titos 1980 kam es in Jugoslawien zum Wiedererstarken nationalistischer Kräfte, die unter Tito stark zurückgedrängt worden waren. In Serbien vertrat der Ministerpräsident der autonomen serbischen Teilrepublik, Slobodan Milosevic, einen national-kommunistischen Kurs. Sein Regime begann 1987 mit dem Sturz des bisherigen Präsidenten Ivan Stambolic und dauerte bis zum Jahr 2000 an. Milosevic behauptete kurz nach seinem Amtsantritt, die Zentralregierung und die anderen Teilrepubliken (insbesondere Kroatien und Slowenien) würden Serbien gezielt benachteiligen. Auch gebe es im Kosovo einen „politischen und kulturellen Genozid“ gegen die Serben

Das Regime Miloševic (1987-2000) zeichnete sich vor allem durch seine unnachgiebige Politik aus, mit der er letztendlich auch die Eigenständigkeit der Republik Srpska innerhalb des serbischen Gebietes erreichte. Während der Jugoslawienkriege befand sich Serbien unter der Präsidentschaft Slobodan Miloševics. Der Präsident gilt bis heute als Schlüsselfigur der Jugoslawienkriege, da er die Jugoslawische Volksarmee massiv unterstützte. Auch trägt er Mitverantwortung für viele der begangenen Kriegsverbrechen.

Im Juli 1990 erklärten sich die Parlamente von Kroatien und Slowenien für unabhängig. Die Zentralregierung in Belgrad erkannte die Unabhängigkeit nicht an und es kam zu einer Intervention der jugoslawischen Volksarmee im Sommer 1991 in Slowenien, die jedoch nach wenigen Tagen beendet wurde. Damit war Slowenien de facto unabhängig. Dieser 10-Tage-Krieg in Slowenien zählt heute als erster der sogenannen Jugsolawienkriege

In Kroatien brachen im Juni 1991 schwere Kämpfe zwischen der jugoslawischen Volksarmee und kroatischen Sicherheitskräften aus. Die kroatischen Städte Vukovar und Dubrovnik wurden von der Armee beschossen und in der Krajina, einem Teil Kroatiens, der überwiegend von Serben besiedelt wird, vertrieben serbische Milizen die kroatischen Sicherheitskräfte. Im Dezember 1991 erkannte die deutsche Regierung Kroatien und Slowenien als souveräne Staaten an, was auf starke Kritik in London und Paris stieß, wo die Regierungen für eine Bewahrung der Einheit Jugoslawiens plädierten.

Im April 1992 erklärte auch Bosnien-Herzegowina seine Unabhängigkeit. Daraufhin brachen schwere Kämpfe aus und die Streitkräfte der bosnischen Serben, die von der jugoslawischen Volksarmee unterstützt wurden, eroberten zwei Drittel Bosnien-Herzegowinas. Es folgten umfangreiche Vertreibungen der muslimischen und kroatischen Bevölkerung aus den serbisch kontrollierten Gebieten. Dabei kam es auch zu Erschießungen von Zivilisten wie beim Massaker von Srebrenica, bei dem im Juli 1995 etwa 8000 muslimische Männer exekutiert wurden.

Im Sommer 1995 willigten die Serben in Friedensverhandlungen ein, die zum Vertrag von Dayton führten. In diesem Vertrag wurde Bosnien in zwei eigenständige Teilrepubliken unterteilt: die „Föderation Bosnien und Herzegowina“, in der vor allem Muslime und Kroaten leben, und die Serbische „Republik Srpska“, die knapp die Hälfte des bosnischen Territoriums einnimmt.

Ab 1996 formierte sich im serbisch beherrschten Kosovo, der schon im Mittelalter zu Serbien gehört hatte, aber mehrheitlich von Albanern besiedelt wird, die albanische Untergrundarmee „UCK“. Die UCK kämpfte für die Unabhängigkeit des Kosovo. Im Frühjahr 1999 eskalierten Gefechte zwischen den UCK Kämpfern und serbischen Streitkräften und es kam zu Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung, die eine Massenflucht von Kosovoalbanern nach Makedonien und Albanien auslösten. Daraufhin griff die NATO ein und bombardierte serbische Stellungen im Kosovo sowie verschiedene serbische Städte, um dadurch einen Friedensschluss zu erzwingen. Die Luftschläge der NATO forderten in Serbien, nach unterschiedlichen Schätzungen, etwa 2000-3000 Menschenleben. Im Juni 1999 billigte das serbische Parlament unter dem Druck der Luftschläge einen Friedensvertrag und im Kosovo rückte die internationale Friedenstruppe KFOR anstelle der abziehenden serbischen Truppen ein. Über 200.000 Serben emigrierten aus dem Kosovo und weit über hundert wurden von UCK Milizen ermordet.


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Anklagen wegen Kriegsverbrechen

Durch einen Beschluss des UNO-Sicherheitsrats wurde 1993 der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien geschaffen. Das Kriegsverbrechertribunal ist für Verbrechen zuständig, die dort nach dem 1. Januar 1991 verübt wurden. Die Liste der Anklagepunkte ist lang. Sie reicht von  Folter, Vergewaltigungen, Aufschlitzen von Schwangeren und Sprengattacken auf Beerdigungen bis hin zu grausamen Hinrichtungen und Massakern, die im Zuge der „ethnischen Säuberungen” begangen wurden.

Im Zusammenhang mit dem Kosovokrieg wurde der serbische Präsident Slobodan Milosevic 1999 als erstes Staatsoberhaupt noch während seiner Amtsausübung vor dem Kriegsverbrechertribunal angeklagt. Das vielleicht wichtigste Verfahren vor dem Gerichtshof konnte jedoch nie zu Ende geführt werden: Milosevic starb 2006 in seiner Zelle. Die Anklage warf ihm vor, während der Kriege in Kroatien, Bosnien und im Kosovo Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.

Radovan Karadzic, politisches Oberhaupt der bosnischen Serben, wurde im März 2016 in erster Instanz zu 40 Jahren Haft verurteilt. Das Tribunal befand ihn unter anderem des Völkermords im Zusammenhang mit dem Massaker von Srebrenica für schuldig; Karadzic ist in Berufung gegangen.

Ratko Mladic, der frühere Militärchef der bosnischen Serben, wurde ebenfalls wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt – unter anderem im Zusammenhang mit dem Massaker von Srebrenica und der Belagerung von Sarajevo. Der Prozess starteten bereits im Juni 2011. Zu einem Urteil kam es im Jahr 2017,  wegen seiner Verantwortung für das Massaker von Srebrenica sowie weiterer Kriegsverbrechen im Bosnien-Krieg wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Mladic hatte jedoch dagegen Berufung eingelegt. Im Juni  2021 bestätigte das UN-Tribunal die Verurteilung zu lebenslanger Haft..

Insgesamt kam es im Laufe zu insegsamt 161 Anklagen vor dem Kriegsverbrechertribunal. In 84 Fällen kam es auch zu einer Verurteilung. Ratkot Mladic war der letzte Fall, der verhandelt wurde. Damit ist die Arbeit des Tribunals abgeschlossen.

Annäherung an die EU

Mit Ministerpräsident Zoran Dindic,begann 2001 eine auf politische und wirtschaftliche Reformen ausgerichtete Politik, die  Boris Tadic nach der Ermordung Dindics fortsetzte und mit einem Kurs der Annäherung an die EU ausbaute.  Seit März 2012 ist Serbien offiziellerEU Beitrittskandidat, unterhält gleichzeitig aber auch gute Beziehungen mit Russland und China. Unter Aleksandar Vucic, der seit ist 2017 Präsident des Landes ist, erhielt der Kurs in Richtung Westintegration jedoch einen deutlichen Dämpfer. Das Land leidet unter wirtschaftlichen Problemen, insbesondere einer hohen Arbeitslosigkeit, und einer weitverbreiteten Korruption, die zugleich einen negativen Einfluss auf die politischen Strukturen des heutigen Serbien hat. Zudem sind die angespannten Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo ein Hinderniss auf dem Weg zu einem EU-Beitritt.


 mehr zum aktuellen Stand der EU-Beitrittsverhandlungen


Serbien-Kosovo-Konflikt - aktuelle Lage

Seit vielen Jahren schwelt der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo. Die Frage um die Zugehörigkeit des Kosovo reicht weit in die Geschichte zurück und birgt auch heute noch erhebliches Konfliktpotential und verhindert einen konstruktiven Dialog der Parteien:  „Schwierig ist es nicht nur, die Serben und die Kosovo-Albaner an den Verhandlungstisch zu bringen. Sitzen sie erstmal dort, haben die unversöhnlichen Gegner kaum Ansätze für einen Gesprächsverlauf, der für beide Seiten akzeptabel ist”, so SüdosteuropaexperteD enis Drobyshev. Die Kosovo-Albaner treten kompromisslos für die Unabhängigkeit des Kosovo ein, dagegen bestehe die serbische Führung darauf, dass das Kosovo immer noch ein Teil Serbiens sei und es auch bleiben solle.

Auch nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos im Jahre 2008, erkennt Serbien das Land nicht als eigenständig an.  2011 hat die EU deshalb einen moderierten Serbien-Kosovo-Dialog  eingeführt. Ziel des Dialogs ist die umfassende Normalisierung der Beziehung in Form eines abschließenden und rechtlich bindenden Abkommens, das im Einklang mit dem Völkerrecht steht und zur regionalen Stabilität beiträgt. Die Verhandlungen waren jedoch nur wenig erfolgreich. Immer wieder flammten Streitigkeiten und Konflikte auf, über die Jahre gerieten die Verhandlungen mehrmals ins Stocken und wurden auf Eis gelegt.

Auch kam es in den letzten Jahren immer wieder zu, teils gewaltvollen, Auseinandersetzungen zwischen Serbien und dem Kosovo.  Wie weit die Spannungen gehen,  verdeutlichte auch das 2018 begangene Attentat auf einen der wichtigsten serbischen Politiker im Kosovo Oliver Ivanovic. Er wurde vor seiner Parteizentrale in der nördlichen Stadt Mitrovica erschossen. Die Kosovo-Regierung verurteilte den Mord und betitelte ihn als „Anschlag auf den Rechtsstaat und die Anstrengungen, rechtsstaatliche Verhältnisse im gesamten Kosovo zu etablieren." Das Attentat führte abermals zur Beilegung der zwischenstaatlichen Verhandlungen.

Der Dialog wird insbesondere auch erschwert, da Serbien nach wie vor nicht bereit ist, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen. Auf die Besorgnis der EU über  „eine regelrechte Kampagne [in Serbien], mit der die Unabhängigkeit des Kosovo delegitimiert“ werden solle, erwiderte Serbiens Präsident Alexandar Vucic, dies sei etwas, auf das er stolz sei: er werde weiterhin die Unabhängigkeit des Kosovo delegitimieren.  Er werde niemals eine Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo unterschreiben – egal wie viel Druck auf ihn ausgeübt werde, wenn der Kosovo-Dialog wieder aufgenommen wird, betonte Vucic im Mai 2021, Er kritisierte weiter, die kosovarische Führung würde sich nicht an die Verpflichtungen halten, die sie im Rahmen des Belgrad-Pristina-Dialogs eingegangen sei.

Auch bei der jüngsten Wiederaufnahme der Gespräche im Sommer 2021 konnten  keine Fortschritte im Dialog erzielt werden. Das Scheitern liege daran, dass die Vertreter des Kosovo alle Vorschläge der EU ablehnten, meinte der serbische Präsident Aleksandar Vucic.  Er sei „besonders besorgt“, dass sich die kosovarische Seite weigere, „sich zu verpflichten, gewisse Handlungen zu unterlassen, die die Lage vor Ort destabilisieren könnten“. Der kosovarische Premier Albin Kurti teilte hingegen mit, man habe einen eigenen Friedensplan sowie „Beweise für elf Verstöße Serbiens gegen das Kosovo in Form von Beschränkungen für den freien Handel“ vorgelegt. Die serbische Seite habe dies alles zurückgewiesen.

Immer wieder kommt es zu erneuten Eskalationen im Konflikt der beiden Balkan-Staaten. So etwa 2021 im Streit um Autokennzeichen, wodurch eine Verbesserung der Beziehungen abermals in die Ferne rückte. Zeitweilig kam es sogar zu einem militärischem Aufrüsten im Grenzgebiet. Auslöser war eine von der kosovarischen Regierung neu erlassene Verordnung, die künftig verbietet, Kfz-Kennzeichen aus Serbien im Kosovo zu verwenden. Serben müssen bei Grenzübertritt provisorische kosovarische Kennzeichen anbringen, die 60 Tage gültig sind, hieß es. Betroffen waren davon mehrere Tausend Auto- und Lastwagenfahrer, die in der serbischen Enklave im Norden des Kosovo leben. Allerdings praktiziert Serbien umgekehrt das Verbot kosovarischer Kennzeichen bereits seit 2008, der Schritt spiegle also nur die Maßnahmen Serbiens wieder, erklärte die kosovarische Regierung. Als Reaktion auf diese neue Verordnung blockierten Lastwagenfahrer zwei Hauptstraßen an den Grenzübergängen. Kosovo wiederum stationierte Spezialeinheiten der Polizei in der Grenzregion, woraufhin Serbien Militärfahrzeuge an die Grenze verlegte und die Alarmbereitschaft seiner Truppen erhöhte. Auch kam es zu Angriffen auf kosovarische Behörden wie etwa auf die Kfz-Zulassungsstelle, die in Brand gesetzt wurde. In Reaktion auf die Eskalation verstärkte die dort stationierte  NATO Kosovo-Truppe KAFORihre Patrouillen im Grenzgebiet. Der Streit wurde zwischenzeitlich beigelegt. Eine EU-Arbeitsgruppe wurde beauftragt, eine dauerhafte Lösung zu erarbeiten. Beide Seiten einigten sich im November 2022 im Streit um Autokennzeichen unter Vermittlung der EU auf einen Kompromiss..  Nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell werde Serbien aufhören, Nummernschilder mit Bezug auf kosovarische Städte zu vergeben. Umgekehrt werde demnach der Kosovo keine weiteren Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ummeldung von Fahrzeugen mit alten serbischen Kennzeichen ergreifen. Nahezu alle im Norden des Kosovo lebenden ethnischen Serben nutzen in Serbien ausgestellte Kfz-Kennzeichen aus der Zeit, als die Region noch zu Serbien gehörte.

Neben den Streitigkeiten um Autokennzeichen war es im Sommer 2022 zudem abermals zu Grenzstreitigkeiten um Ausweispapiere gekommen. Gemäß neu verhängten Regelungen des Kosovo sollten Serben ohne ein kosovarisches Zusatzpapier zu ihrem serbischen Ausweis nicht mehr einreisen dürfen. In Reaktion darauf hatten wiederum serbische Einwohner des Kosovo vorübergehend grenznah Straßenblockaden errichtet. Beide Länder gaben sich gegenseitig die Schuld an der erneuten Eskalation, bei der es abermals um grundlegende Fragen der gegenseitigen Anerkennung ging. Mittlerweile wurde auch dieser Streit um die Einreiseregelungen beigelegt und ein Deal ausgehandelt, so der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Serbien habe zugestimmt, Kosovaren ohne weitere Dokumente einreisen zu lassen. Im Gegenzug habe das Kosovo den Plan fallengelassen, die Einreise von serbischen Staatsbürgern zu erschweren.

Nachdem es der EU jüngst erst gelungen war, im Streit um Autokennzeichen zwischen Serbien und dem Kosovo zu vermitteln, haben im Norden des Kosovo die Spannungen Anfang Dezember 2022 jedoch erneut wieder zugenommen. Es kam es zuAusschreitungen und Schusswechselnzwischen der kosovarischen Polizei und der im Norden lebenden serbischen Minderheit. Serbische Demonstranten blockierten die Hauptverkehrsstraßen mit Barrikaden. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell warnte beide Seiten vor einer Eskalation. Die EU-Mission Eulex, die mit der Überwachung des Nordkosovo beauftragt ist, teilte mit, eine Blendgranate sei auf eines ihrer gepanzerten Fahrzeuge geworfen worden. „Die EU wird keine Angriffe auf Eulex oder gewaltsame, kriminelle Handlungen im Norden dulden”, warnte Borrell. Die Barrikaden müssten sofort von Gruppen von Kosovo-Serben entfernt werden. Die Ruhe müsse wiederhergestellt werden.”

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hatte seinerseits angekündigt, bei der NATO KFOR Truppe formal die Entsendung von 1000 serbischen Soldaten in den Kosovozu beantragen, „um den Frieden zu wahren". Dabei beruft er sich auf die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom Juni 1999, welcher Serbien grundsätzlich das Recht zuspricht, nach Kriegsende eine kleine Zahl Polizisten und Soldaten in den Kosovo zu entsenden. Die NATO-Schutztruppe KFOR erteilte Serbien jedoch für eine aktuelle Entsendung keine Genehmigung.

Ende Dezember verschärften sich die Spannungen in der Region zunächst weiter, nachdem Serbien die Armee in höchste Alarmbereitschaft versetzt und  Kosovo daraufhin den größten Grenzübergang geschlossen hatte. Die Situation erfordere „die Präsenz der serbischen Armee entlang der Verwaltungslinie”, so Serbiens Armeechef Mojsilovic. Staatschef Vučić habe angeordnet, die Präsenz der serbischen Streitkräfte von bisher 1.500 Soldaten auf 5.000 zu erhöhen. Mit dem Begriff „Verwaltungslinie” bezeichnen die serbischen Behörden die Grenze zum Kosovo.

Zum Jahresende 2022 schien etwas Entspannung in Sicht. Zumindest zeichnete sich eine Lösung ab, was die von Serben errichteten Straßenblockaden im Nordkosovo anbelangt. Serbiens Präsident Vucic ließ die  Straßensperren abbauen. Daraufhin hat Kosovo den wichtigsten Grenzübergang nach Serbien wieder geöffnet. Doch bereits zu Beginn des neuen Jahres verschärfte ein weiterer Vorfall abermals den Konflikt. Ein Soldat hatte im Nordkosovo aus einem fahrenden Wagen zwei Serben mit Schüssen verwundet. Daraufhin blockierten Serben erneut eine Hauptverkehrsroute im Kosovo.  Ministerpräsident Albin Kurti verurteile den Angriff auf Schärfste. Der Soldat wurde festgenommen.

Der serbische Außenminister Ivica Dacic erklärte Anfang Januar 2023, dass Serbien sich dafür einsetze, einen Kompromiss mit dem Kosovo zu finden. Allerdings nannte er drei rote Linien, die Belgrad in Bezug auf den Kosovo habe. Er betonte, dass die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovos eine rote Linie darstellen würde. Auch die Mitgliedschaft in der UNO könne Belgrad nicht akzeptieren. Als Letztes sei noch die Sicherheit der Serben und Serbinnen im Kosovo eine rote Linie.

Ende Januar ließ Serbiens Präsident Vucic in der Frage um eine Anerkennung des Kosovo etwas andere Töne verlauten. Demnach könnte er doch bereit sein, sich einem Kompromiss anzunähern. Vucic deutete an, dass er den im Herbst 2022 eingebrachten deutsch-französischen Plan für die Normalisierung des Verhältnisses zum Kosovoeventuell doch annehmen könnte. „Wenn die Wahl darin besteht, dass wir Sanktionen bekommen – und was wäre eine schlimmere Sanktion als der Abzug von Investitionen – oder dass wir auf der anderen Seite alles und sofort akzeptieren, was die UNO-Mitgliedschaft des Kosovos bedeutet, dann bin ich für den Weg des Kompromisses, wie umstritten er auch sein mag”, erklärte Vucic.

Im Frühjahr zeichnet sich nach Spannungen in Folge der Kommunalwahlen am 23. April 2023 jedoch erneut eine Eskalation der Situation ab. Die Wahlen waren von der im Norden mehrheitlich ethnisch-serbischen Bevölkerung größtenteils boykottiert worden. Dadurch wurden Kosovo-Albaner mit nur wenigen Stimmen zu Bürgermeistern gewählt wurden, was für Unmut unter den dort lebenden Serben sorgte. Spezialkräfte der kosovarischen Polizei und die KFOR mussten die neugewählten Bürgermeister vor serbischen Demonstranten schützen. Ende Mai 2023 eskalierte die Situation weiter und führte zu gewalttätigen Ausschreitungen. Laut KFOR-Angaben erlitten 30 Soldaten aus Ungarn und Italien Verletzungen, darunter Knochenbrüche und Verbrennungen. Die KFOR habe auf die unprovozierten Angriffe einer gewalttätigen und gefährlichen Menge reagiert, hieß es in einer Erklärung der Schutztruppe. Auch auf serbischer Seite gab es Dutzende Verletzte, laut dem Krankenhaus in der nahen Stadt Mitrovica wurden 53 Serben behandelt. Die EU verurteilte die Ausschreitungen scharf: „Gewalttaten gegen Bürger, gegen Medien, gegen Strafverfolgungsbehörden und die KFOR-Truppen sind absolut inakzeptabel", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Beide Parteien müssten unverzüglich alles dafür tun, um zu deeskalieren und wieder für Ruhe zu sorgen. „Wir haben schon jetzt zu viel Gewalt in Europa. Wir können uns keinen weiteren Konflikt leisten", so Borrell. Als Reaktion auf die jüngsten Zusammenstöße hat die NATO beschlossen, die KFOR-Truppe um 700 Soldaten aufzustocken.

Ein Vorfall um drei kosovarische Polizisten heizte den Konflikt im Juni 2023 weiter an, woraufhin die kosovarische Regierung die Grenzen teilweise dicht machte.

Im September 2023 war es erneut zu Auseinanandersetzungen gekommen.  An der Grenze zu Serbien hatten 30 bewaffnete und maskierte Männer ein kosovarisches Dorf angegriffen, woraufhin Kosovo das Nachbarland beschuldigte, die Attacke geplant und unterstützt zu haben. Aktuell wirft die kosovarische Regierung der serbischen Armee vor, Militär und Polizeieinheiten entlang der Grenze zum Kosovo verlegt zu haben. Serbien bereite eine Aggression vor, so die Befürchtung.  Auch die USA beobachteten eine neuerliche große Militärpräsenz Serbiens an den Grenzen zum Kosovo und forderten die serbische Regierung auf, ihre dort stationierten Truppen abzuziehen. „Eine noch nie dagewesene Stationierung von serbischer Artillerie, Panzern und mechanisierten Infanterieeinheiten” führe zu einer „sehr destabilisierenden” Entwicklung. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić dementierte, dass sein Land ein militärisches Vorgehen plane. Er werde den Befehl zum Rückzug serbischer Truppen geben, da eine Eskalation „kontraproduktiv” für die Bemühungen seines Landes wäre, EU-Mitglied zu werden. Serbien wolle keinen Krieg. Die kosovarische Außenministerin Donika Gervalla-Schwarz warnt vor einem neuen Krieg auf dem Balkan: „Toleriert die internationale Gemeinschaft das Vorgehen Serbiens, wird es einen Krieg geben”, so die Ministerin.


mehr über den Konflikt um den Kosovo, die Friedensbemühungen und Herausforderungen


 

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Quellen

Marie-Janine Calic: Geschichte Jugoslawiens Im 20. Jahrhundert, München, 2010

Edgar Hösch: Geschichte der Balkanländer, München, 2002

Holm Sundhausen: Geschichte Serbiens: 19-21 Jahrhundert, Wien, 2007

Wolfgang Libal: Die Serben. Blüte, Wahn und Katastrophe. Dortmund, 1996

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