Lage der Opposition und Umgang mit Minderheiten in Russland

Die russische Opposition sieht sich einer doppelten Strategie des Regimes gegenüber, die einerseits aus Kooptation oder Einbindung und andererseits aus Repression besteht. So gibt es im Parlament neben der Regierungspartei Einiges Russland durchaus Oppositionsparteien, die sich regierungskritisch äußern und regelmäßig ernstzunehmende Stimmenanteile auf sich vereinen. Dazu gehören etwa die Kommunistische Partei als zweitstärkste Kraft oder das sozialdemokratische Gerechte Russland. Sie können jedoch ihre Oppositionsarbeit vor allem ausüben, da sie sich bei wichtigen Abstimmungen an die Regierungslinie halten und somit keine wirkliche Herausforderung für die politische Agenda des russischen Regimes darstellen. Gleiches gilt für eine vielfältige und hoch aktive Zivilgesellschaft, die Themen wie Umweltschutz, Nachbarschaft und Austausch zwischen Generationen oder medizinische Versorgung und Hospiz erfolgreich und mit staatlichem Segen und Förderung bearbeitet.

Anders stellt sich die Lage bei politischen oder explizit regierungskritischen Themen dar. Hier sind Akteure Repressionen ausgesetzt und werden systematisch in ihrer Arbeit eingeschränkt. In den letzten Jahren ist auch im zivilgesellschaftlichen Bereich ein Trend zur Isolation zu beobachten. So müssen sich beispielsweise Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle Unterstützung von internationalen Partnern erhalten, seit 2012 in eine Liste eintragen lassen, die den bewusst diffamierenden Namen „Liste Ausländischer Agenten“ trägt (vgl. Siegert 2014). In den folgenden Jahren wurde diese Gesetzgebung wiederholt verschärft.

Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial, die aufgrund ihrer Arbeit und ihres Einsatzes für die Wahrung der Menschenrechte und politische Gefangene in Russland selbst auf der Liste der Ausländischen Agenten steht, zählt aktuell 351 politische Gefangene (Stand April 2021). Die überwiegende Mehrheit ist in der Liste der aus religiösen Gründen Verfolgten geführt (305 Personen). Sie gehören Religionsgemeinschaften an, die der russische Staat als extremistisch eingestuft hat, darunter die Zeugen Jehovas. Die Fälle der Allgemeinen Liste (72 Personen) beziehen sich dagegen mehrheitlich auf politischen Aktivismus, etwa die Organisation von Protesten, die Mitgliedschaft in oppositionellen Netzwerken oder zunehmend auch politische Aktivitäten auf dem Gebiet der annektierten Krim.

Die russische Generalstaatsanwaltschaft beantragte im November 2021 die Auflösung von Memorial. Die NGO ist seit 2016 als „Ausländischer Agent“ registriert, weil sie teilweise aus dem Ausland finanziert wird. In der Anklage wird der NGO vorgeworfen, „systematisch“ gegen das Gesetz über „Ausländische Agenten“ verstoßen zu haben. Russische Gerichte haben im Dezember 2021 mit zwei Urteilen sowohl die Dachorganisation Memorial International als auch das Menschenrechtszentrum aufgelöst. Die russische NGO Memorial hatte sich seit Jahrzehnten für die Einhaltung der Menschenrechte in Russland eingesetzt.

Im April 2022 verhängte Russland ferner ein Verbot, welches die Arbeit von 15 ausländischen Organisationen wegen angeblicher „Verstöße gegen die geltende Gesetzgebung der Russischen Föderation” fortan untersagt. Betroffen sind die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch sowie neun weitere  Nichtregierungsorganisationen.

Verhaftungswelle im Zuge der Proteste gegen den Krieg in der Ukraine

Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden bei Protesten in Russland gegen den Ukraine-Krieg innerhalb von wenigen Tagen  Tausende Menschen festgenommen. Insbesondere die jüngere Generation, die sich über die sozialen Medien über den von Russland verursachten Krieg informieren konnte, ging Ende Februar und Anfang März 2022 auf die Straße, um gegen „Putins Krieg“ zu demonstrieren. Das wird jedoch angesichts der drohenden Verhaftungen, Gefängnis- und Geldstrafen immer schwieriger und ist für den Einzelnen mit hohen Risiken verbunden; die Proteste werden inzwischen brutal niedergeschlagen. Im russischen Staatsfernsehen bekommt die Bevölkerung unterdessen ein völlig anderes Bild von einer sogenannten „militärischen Spezialoperation“ Russlands in der Ukraine präsentiert, das in keiner Weise dem tatsächlichen Geschehen entspricht. Auch diese Zensur und Fehlinformation wird von Amnesty angeprangert.

Der russische Oppositionelle Kara-Mursa wurde im April 2023 in Moskau zu 25 Jahren Haft in einem Straflager verurteilt. Es ist die bisher höchste Haftstrafe gegen einen Regierungskritiker überhaupt. Kara-Mursa sei des Hochverrats und weiterer Vergehen wie der Verunglimpfung des russischen Militärs und der illegalen Arbeit für eine „unerwünschte” Organisation schuldig, urteilte das Gericht. Die Bundesregierung, die EU und die USA kritisierten das Urteil scharf. Jahrelang war Kara-Mursa als Politiker in Opposition zu Präsident Wladimir Putin tätig. Er setzte sich bei ausländischen Regierungen und Institutionen für die Verhängung von Sanktionen gegen Russland und einzelne Russen wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen ein. 2015 und 2017 wurde er Opfer von mutmaßlichen Vergiftungsanschlägen, die er nur knapp überlebte.

Alexej Nawalny

Kein Fall hat in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit erfahren als der von Alexei Nawalny. Der Oppositionspolitiker und Anti-Korruptionsaktivist gehörte zu den im In- und Ausland bekanntesten Kritikern des russischen Regimes und war in den letzten Jahren immer wieder Repressionen ausgesetzt. Er wurde zu hohen Geldstrafen verurteilt, wiederholt unter Arrest genommen, von der Kandidatur für politische Ämter abgehalten und war 2017 Opfer eines Chemikalienanschlags. Im Sommer 2020 überlebte Nawalny knapp einen Anschlag mit dem Nervenkampfstoff Novichok, für den höchstwahrscheinlich der russische Geheimdienst und somit die Regierung verantwortlich ist. Besonders makaber: Da er zur Behandlung an die Berliner Charité ausgeflogen werden musste – was mit offizieller Zustimmung geschah – und fast einen Monat lang dort im Koma lag, wandelte ein Gericht unmittelbar nach seiner Rückkehr eine anhängige, zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe in 2 Jahre und 8 Monate Lagerhaft um. Nawalny habe gegen Bewährungsauflagen verstoßen, indem er das Land verlassen und mehrere Meldetermine versäumt hatte.

Nach seiner Verhaftung bei seiner Rückkehr nach Russland im Frühjahr 2021 wurde Nawalny in die berüchtigte Strafkolonie östlich von Moskau verlegt. Dort verschlechterte sich sein gesundheitlicher Zustand zusehends, Nawalny war aus Protest gegen mangelnde medizinische Versorgung in einen Hungerstreik getreten. Die Situation war für Nawalny lebensgefährlich. Aber auch für das Regime wäre die Situation zur Gefahr geworden, wäre Nawalny tatsächlich in der Haft verstorben, analysierte damals der Journalist Maxim Kireev. Nach Protesten Tausender Nawalny-Anhänger und auf internationalen Druck wurde Nawanly im Frühjahr 2021 voübergehendin ein ziviles Krankenhaus außerhalb des Straflagers verlegt. Dort beendete Nawalny seinen Hungerstreik. Anschließend wurde er wieder in einem Gefangenenlager untergebracht. Die EU und die USA hatten im März 2021 erneute Sanktionen gegen Russland verhängt, da das Land der Aufforderung nach einer Freilassung Nawalnys nicht nachgekommen war. Die EU setzte dabei erstmals ihren neuen Sanktionsrahmen gegen Menschenrechtsverletzungen ein.

Nawalny symbolisierte für viele Hoffnung – unabhängig davon, dass sein politischer Handlungsspielraum beständig durch fortwährende Verfolgung und Verurteilungen eingeschränkt wurde. Was ihn von anderen Politikern abhob, war aber nicht so sehr sein Programm, sondern vielmehr sein rhetorisches Talent und seine kompromisslose Gegnerschaft zur herrschenden Elite. Vereinfacht gesprochen sah Nawalny die Lösung von Russlands Problemen in der Formel „Elitenwechsel plus Justizreform“. Seine Fixierung auf Korruption als die Wurzel allen Übels, seine nationalistischen Anklänge und auch seine Teilnahme an Wahlen, die dem politischen System Funktionsfähigkeit und damit Legitimität bescheinigte, erregten aber durchaus auch Anstoß in oppositionellen Milieus. Nawalny sei daher nicht der „Oppositionsführer“, als den deutsche und selbst einige russische Medien ihn zuweilen präsentierten, so eine Analyse von Jan Matti Dollbaum  für dekoder.org.

Für die Organisationen Nawalnys wurden die Arbeitsbedingungen indes immer schwieriger. In einem Prozess wurde die Nawalny-Organisationen im Juni 2021 als „extremistisch” eingestuft und somit verboten. Für seinen unermüdlichen Kampf für die Freiheit wurde der Kreml-Kritiker im Dezember 2021 vom Europäischen Parlament mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet. Nawalny befand sich derzeit nach wie vor in der Strafkolonie nahe der Hauptstadt in Haft. Daher hatte seine Tochter den Preis stellvertretend für ihn entgegengenommen. Die internationale Aufmerksamkeit, die Nawalny unter anderem auch mit dieser Ehrung zuteilwurde, sei wahrscheinlich das Einzige, was ihm relativen Schutz, relative Sicherheit bieten könne, so sein Kampagnen-Manager Leonid Wolkow. Wenn diese Aufmerksamkeit nachlasse, wer könne dann sagen, ob sie nicht wieder versuchen würden, ihn zu beseitigen.

Nachdem Nawalny Anfang 2021 zunächst zu zweieinhalb Jahren verurteilt wurde, erging im März 2022 ein Urteil über weitere 9 Jahre Haft. Nawalnys Anwälte sprachen von einem Schauprozess. Die Haftstrafe musste Nawalny in einem Straflager mit besonders harten Strafbedingungen verbringen. In einem früheren Urteil war er bereits wegen Veruntreuung und Missachtung des Gerichts für schuldig befunden worden. Im neuerlichen Urteil hieß es:, „Nawalny hat Betrug begangen – den Diebstahl von fremdem Eigentum durch eine organisierte Gruppe“, so die Richterin bei der Urteilsverkündung. In Bezug auf den Krieg in der Ukraine hatte Nawalny die russische Bevölkerung zu Widerstand und Demonstrationen gegen die russische Invasion aufgerufen. Russland dürfe nicht zu „einer Nation von ängstlichen Schweigern werden“.

Wie russische Medien Mitte Februar 2024 berichteten, ist der russische Oppositionelle Alexej Nawalny nun laut Mitteilung der Gefängnisverwaltung in der Haft verstorben. Der Kremlkritiker war seit 2021 in einer Strafkolonie in der russischen Polarregion untergebracht. Der 47-Jährige habe sich nach einem Spaziergang „unwohl gefühlt” und „fast sofort das Bewusstsein verloren”, hieß es. Es sei medizinisches Personal herbeigerufen worden, das jedoch nicht in der Lage gewesen sei, Nawalny wiederzubeleben. Auch das Team um Nawalny hat wenig später seinen Tod bestätigt. Die Todesursache werde derzeit ermittelt. International ist die Nachricht vom Tod Nawalnys mit Bestürzung aufgenommen worden. Nawalny habe für seinen Mut mit dem Leben bezahlt, so Bundeskanzler Scholz. Der ukrainische Präsident Selenskyj machte Russlands Präsident Putin verantwortlich. 

Die politische Opposition in Russland sei längst zerschlagen, resümierte die Historikerin Irina Scherbakowa bereits vor einigen Jahren in einem Interview im Deutschlandfunk: „Wir leben in einer Diktatur“. Alles werde kontrolliert, keine Opposition zugelassen. Alle wichtigen Entscheidungen würden von einem kleinen Kreis von Menschen um Präsident Vladimir Putin herum getroffen.

Lage von Minderheiten

Auch die Lage von Minderheiten hat sich im Zuge der zunehmend repressiven Politik des russischen Regimes in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert, auch wenn hier differenziert werden muss. Einerseits ist Russland ein multiethnischer Staat, auf dessen Territorium über 185 ethnische Gruppen leben. Durch die föderative Ordnung haben viele von ihnen recht umfassende Autonomierechte, etwa in Gestalt der Autonomen Republiken (zum Beispiel das islamisch geprägte Tatarstan) oder des Autonomen Jüdischen Gebiets Birobidschan. Diese Föderationssubjekte sind auf überregionaler Ebene im Föderationsrat, der zweiten Kammer des russischen Parlaments, vertreten. Wie in anderen Bereichen bewegen sich diese regionalen Kompetenzen jedoch im Rahmen der Putinschen Machtvertikale, die der Zentralregierung in Moskau die letzte Entscheidungsgewalt zusichert.

Andere Minderheiten sind noch schlechter aufgestellt. So verbietet ein Gesetz seit 2013 die Verbreitung von „homosexueller Propaganda“, angeblich um Minderjährige zu schützen. In Wirklichkeit kriminalisiert es die sexuelle Selbstbestimmung von LGBT und macht die ohnehin in der russischen Gesellschaft verbreiteten homophoben und transfeindlichen Einstellungen noch weiter salonfähig.

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