Presse-und Meinungsfreiheit in Ungarn

In seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident in den Jahren 1998 bis 2002 griff Viktor Orban, ähnlich wie die anderen demokratischen Regierungen seit 1990, wenig in die Pressefreiheit ein. Zu dieser Zeit befand sich Orban auf einem eher proeuropäischen Kurs. Er hatte kein Interesse an Konflikten mit der EU über den Zustand der Pressefreiheit in Ungarn, zumal Ungarn zu diesem Zeitpunkt nur Anwärter auf eine Mitgliedschaft in der EU war. Somit unterschied sich Orbans Medienpolitik kaum von der nachfolgenden Koalition unter Führung der sozialistischen Partei.

Bis 2010 demonstrierten die staatlichen Medien bewusst ihre Unabhängigkeit von der Regierung. So erschien 2006 im öffentlich-rechtlichen Radio eine heimlich mitgeschnittene Tonbandaufnahme des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany. Darin sagte er, dass seine Partei „Tag und Nacht gelogen hat“, um den Wahlsieg seiner Partei zu sichern. In der Folge kam es zu Massenprotesten und die Sozialisten verloren massiv an Vertrauen. Dies begünstigte den Wahlsieg Orbans im Jahr 2010. Diesmal ging Orban viel entschiedener daran, die Medienlandschaft Ungarns umzugestalten, als in seiner ersten Amtszeit.

Bereits 2010 beschloss die Regierung ein Gesetz, das es den Behörden erlaubt, Medien zu kontrollieren und zu bestrafen. Die Zweidrittelmehrheit der Regierung im Parlament machte die Verabschiedung des repressiven Mediengesetzes möglich. Zugleich begannen Behörden und staatliche Unternehmen damit, keine Anzeigen mehr in kritischen Medien zu veröffentlichen. Zudem werden kritische Sender, wie das oppositionelle „Klubradio“, in Ungarn bei der Vergabe von Frequenzen benachteiligt.

Die drei Fernsehsender M1, M2 und Duna-TV wurden zusammengelegt und mit drei überregionalen Radiosendern zu MTV A mit einer gemeinsamen „Superredaktion“ vereinigt. Die Chefredakteure sind nun Fidesz Gefolgsleute. Bei kritischen Berichten ausländischer Korrespondenten über die ungarische Regierung interveniert diese mitunter auch direkt bei den jeweiligen Auslandssendern, zum Beispiel beim ORF (Österreichischer Rundfunk).

Im Jahr 2014 musste der Chef des größten ungarischen Nachrichtenportals „origio.hu“ auf Druck der Regierung seinen Posten räumen. Bemerkenswert dabei ist, dass origo.hu der Firma Magyar Telekom gehört, die eine Tochter der Deutschen Telekom ist. Die Telekom erklärte die Entscheidung mit „internen Umstrukturierungen, auf die die Deutsche Telekom zu keinem Zeitpunkt Einfluss genommen habe“.

Die Kritik an der ungarischen Pressepolitik in der EU wurde stärker. Während anfangs vor allem Kritik von führenden Sozialdemokraten kam, warnte schließlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Als künftiges EU-Vorsitzland trägt Ungarn eine besondere Verantwortung für das Bild der gesamten EU in der Welt.“ Der tschechische Außenminister Schwarzenberg kritisierte das ungarische Mediengesetz als „gefährlich“ und der Vorsitzende der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, spottete: „Die Zeit der Prawda ist vorbei“.

Zusammenfassend lässt sich festhalten; seit Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei 2010 an die Regierung kamen, haben sie Ungarns Medienlandschaft Schritt für Schritt unter ihre Kontrolle gebracht. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender wurden in der staatlichen Medienholding MTVA zentralisiert. Die regionale Presse ist seit dem Sommer 2017 vollständig im Besitz Orban-freundlicher Unternehmer. Im Herbst 2018 wurden fast 500 regierungsnahe Medienunternehmen in einer Holding zusammengefasst, um ihre Berichterstattung zentral zu koordinieren. Wichtige kritische Medien wie die überregionalen Zeitungen wurden eingestellt. Regierungskritische und investigative Berichte finden über Online-Portale nur noch geringe Verbreitung.

Im Februar 2021 ging nun auch noch der letzte unabhängige Radiosender vom Netz. Die Hoffnungen ruhen nun auf der EU. Die bestehenden Vorschriften des Artikels 7 des EU-Vertrages sehen bei Vertragsverletzungen den Entzug von Fördergeldern vor. Bislang gingen jedoch alle Versuche, den Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen auf diese Weise zu sanktionieren, ins Leere.

Pegasus-Skandal

Für einen Skandal sorgen weiterhin die Enthüllungen über die Ausspähungen ungarischer Journalist:innen mittels der Software „Pegasus“. Die Spionagesoftware, mit der Geheimdienste weltweit Jagd auf Terroristen machen, werden offenbar auch von einigen Staaten und Geheimdiensten genutzt, um Journalist:innen, Politiker:innen und Menschenrechtsaktivist:innen zu beobachten und auszuspähen. Die Pariser Non-Profit-Redaktion Forbidden Stories und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bekamen Zugang zu den sensiblen Daten und teilten ihn mit einem internationalen Journalistenkonsortium. Sie entdeckten auch Telefonnummern ungarischer Journalisten auf einer Liste mit Ausspähzielen; ebenfalls die Kontakte einiger mutmaßlicher Krimineller, aber auch die von hochrangigen Medienmanagern, Rechtsanwälten oder Oppositionspolitikern. Die ungarische Regierung gab an, nichts über die Datensammlung zu wissen. Die ungarische Opposition sieht das anders und kritisiert die Fidezs-Partei unter Orban scharf. „Meiner Meinung nach ist das ein Dolchstoß in den Rücken der Pressefreiheit und der Demokratie“, sagt Ana Orosz von der Momentum-Bewegung.

Auch die EU äußerte scharfe Kritik. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen forderte eine Überprüfung der Enthüllungen über die weltweite Ausspähung von Journalisten, Aktivisten und Oppositionellen. „Wenn es stimmt, dann ist es komplett inakzeptabel”, sagte von der Leyen. Das Ausmaß ist größer als gedacht, insgesamt geht es offenbar um eine Größenordnung von 50.000 Telefonnummern aus einer ganzen Reihe von Ländern, darunter Journalisten, Vertreter von Regierung und Opposition, Menschenrechtsaktivisten. Offenbar sollen auch eine ganze Reihe an Staatschefs ausgespäht worden sein, darunter  auch der französische Präsident Emmanuel Macron.

Die Software Pegasus infiltriert Smartphones, späht persönliche Daten aus und kann auch Kamera und Mikrofon des Handys aktivieren. Im Fall von Journalisten kann so die Kommunikation mit Quellen verfolgt werden. Nahezu jedes Mobiltelefon weltweit lässt sich hacken. Pegasus kann heimlich auf Handys installiert werden, ohne dass der Besitzer etwas davon ahnt, auch aus der Ferne. Politiker und Verbände üben scharfe Kritik und fordern Aufklärung. Insbesondere in Händen von autoritären Staaten bzw. Ländern, in denen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie untergraben werden, kann Pegasus eine gefährliche Cyberwaffe sein. Neben Ungarn gehören laut den veröffentlichten Recherchen auch Aserbaidschan, Bahrain, Indien, Kasachstan, Mexiko, Marokko, Ruanda, Saudi-Arabien, Togo und die Vereinigten Arabischen Emiraten zu jenen Staaten, die Ausspähungen veranlasst haben sollen .

Ausführliche Informationen über den Pegasus-Skandal auf dem Portal Netzpolitik

Auf der Rangliste für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Ungarn in den vergangenen Jahren immer weiter nach unten gerückt. Auf der Rangliste 2021 ist das Land mittlerweile auf Platz 92.angelangt. Zum Vergleich: Deutschland liegt auf Platz 13.

Reporter ohne Grenzen führt auch eine Liste der „Feinde der Pressefreiheit”, in der sie jene Personen aufführt, die drastisch die Pressefreiheit unterdrücken. Seit Juli 2021 wurde Ungarns Ministerpräsident Orban nun ebenfalls  auf die Liste gesetzt –  als erster Regierungschef aus der Europäischen Union. Die Liste umfasst derzeit 37 Staatsoberhäupter und Regierungschefs.


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